Politik: Bühne für einen Rechtspopulisten
Dass Granden der Südwest-CDU keine Berührungsängste zum Orbán-Ungarn kennen, ist seit Langem bekannt. Der jüngste Besuch des umstrittenen Außenministers Péter Szijjártó schlägt dem Fass dennoch den Boden aus. Der CDU-Justizministerin Marion Gentges macht er seine Aufwartung sogar als „Staatsgast“.
Am 11. März, just an dem Tag, an dem es in Brüssel um die von Ungarn abgelehnte Unterstützung der Ukraine und eine gemeinsame Verteidigungspolitik ging, fanden mit dem ungarischen Außenminister Péter Szijjártó zwei Treffen in Stuttgart statt. Jenes offiziell mit der Justizministerin und ein privates Mittagessen mit Wirtschaftsvertretern sowie CDU-Landes- und Fraktionschef Manuel Hagel.
Die Mitteilung ist kurz und brisant. Auf Kontext-Anfrage erläutert Philipp Wissmann im Namen der Pressestelle im Ministerium der Justiz und für Migration Baden-Württemberg, seine Chefin habe Szijjártó „auf dessen Initiative“ getroffen. Gegenstand des Gesprächs seien „Herausforderungen im Bereich der Migration sowie insbesondere auch die Lage in der Ukraine“ gewesen. Und weiter: „Der Empfang ausländischer Staatsgäste ist eine Selbstverständlichkeit, zumal wie im Fall Ungarns vielfältige Verflechtungen in das Land Baden-Württemberg bestehen.“ Das Staatsministerium sei informiert gewesen.
Der Außenminister, einer der engsten und längstjährigen Weggefährten von Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán, ist vieles: Putin-Versteher, Trump-Verehrer und EU-Verächter, er schleudert täglich reaktionäre Botschaften in die Welt, aktuell zum neuen Verbot aller Pride Paraden – angeblich aus Gründen des Kinderschutzes. Eines allerdings war Szijjártó, als er vor zwei Wochen nach Stuttgart kam, ganz bestimmt nicht: Staatsgast, wie das von Gentges geführte Haus behauptet. Ganz im Gegenteil wird im Staatsministerium und bei der Polizei erzählt, das Ansinnen, eine Eskorte zu stellen und Straßen zu sperren, damit der Konvoi durchrauschen kann, habe nur „für Belustigung“ gesorgt.
Offiziell heißt es aus dem Regierungssitz, ebenfalls auf Kontext-Anfrage, dass die Ministerien grundsätzlich selbständig unter eigener Verantwortung über das Empfangen von (ausländischen) Gästen, sowie über die damit zusammenhängenden Gesprächsthemen entscheiden. Das Protokollreferat des Staatsministeriums sei am 10. März, einen Tag vor dem Besuch des Außenministers in Kenntnis gesetzt worden. Kein Wort der Kritik oder der Einordnung, wieso Szijjártó eine Bühne geboten wurde.
Vertrauliche Herrenrunde für die Wirtschaft
Dabei sind Treffen mit Vertretern der ungarischen Regierung immer kompliziert, allen voran die mit Victor Orbán selbst. Der ließ sich einen Auftritt während der Fußball-EM voriges Jahr in Stuttgart nicht nehmen. Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) blieb nichts anderes übrig, als den Autokraten zu empfangen, der Justiz und alle Medien mit immer neuen Vorstößen auf Linie bringen will, der im Dauer-Clinch mit der EU liegt und politische Geg ner:innen am laufenden Bande verleumdet. Die dazugehörige Pressemitteilung des Staatsministeriums blieb dünn.
Dem Außenminister gab Kretschmann dagegen schon mal einen Korb. Vor sechs Jahren ließ er ein Gespräch mit Szijjártó streichen, nach verunglimpfenden Plakaten gegen die Migrationspolitik der EU.
Nun, nach dem jüngsten Empfang Szijjártós in Stuttgart, nehmen die Grünen – der nächste Wahlkampf kommt bestimmt – CDU-Chef Hagel ins Visier. Landtagsfraktionsvize Oliver Hildenbrand, Stuttgarts Europa-Abgeordnete Michael Bloss und sein MdB-Kollege Daniel Freund werfen dem CDU-Chef einerseits vor, sich „zum Statisten der ungarischen Regierungspropaganda“ zu machen und andererseits „beste Freunde des Kremls in einer vertraulichen Herrenrunde getroffen“ und ihnen „ein Alibi für antidemokratische Politik“ gegeben zu haben.
Ein Fraktionssprecher Hagels will davon nichts wissen, verweist auf die „immensen Herausforderungen“ für „unsere Unternehmen im Land“. Es komme mehr denn je auf Wirtschaftskompetenz und auf einen engen Draht zur Wirtschaft an. „Herr Fraktionsvorsitzender Hagel setzt sich seit vielen Jahren intensiv für die Belange unserer heimischen Wirtschaft ein.“ Im Mittelpunkt des privaten Mittagessens stand laut der Stellungnahme auf Kontext-Anfrage, die wirtschaftliche Zusammenarbeit beider Länder. Es hätten „mehrere CEO aus dem Bereich Automotive sowie Vertreter von Mittelständlern und Konzernen im Land teilgenommen“.
Man kennt sich, man hilft sich
Dank des Instragram- und des Facebook-Accounts des ungarischen Außenministers ist immerhin einiges bekannt über den illustren Kreis. Gastgeber war Klaus Mangold, der frühere Daimler-Manager, den die FAZ wegen dessen intensiver Russland-Kontakte einmal „Mister Russland“ getauft hat. Nach dem Überfall auf die Ukraine wurde das von ihm geführte Honorarkonsulat in Stuttgart geschlossen. Mangold versprach aber, er werde „weiterhin in zahlreichen Organisationen, in denen ich im deutsch-russischen Verhältnis mitwirke, meine Arbeit für gute Beziehungen zwischen Russen und Deutschen fortsetzen“. Das Essen in der Villa des 81-jährigen Netzwerkers war privat, die deutschen Teilnehmer:innen schweigen. Dafür äußert sich der Außenminister. Zu mehreren Fotos erklärt er auf Facebook, dass „trotz aller politischen Intrigen, Lügen und politischen Kampagnen deutsche Unternehmen Ungarn weiter lieben“. Und zu Fotos mit Justizministerin Gentges vor dem baden-württembergischen Wappen erklärt er: „Wir sind uns einig, dass die Außengrenzen der Europäischen Union geschützt werden müssen und in diesem Sinne können unsere Freunde in der Provinz Baden-Württemberg absolut auf uns Ungarn zählen.“ (Zitate von Google übersetzt)
Warum redet Gentges über die Ukraine?
Bereits vor zwei Jahren bedachte er die Christdemokraten aus dem deutschen Südwesten mit vergiftetem Lob. Sie seien, zitierte ihn die deutschsprachige „Budapester Zeitung“ nach einem Besuch 2023, „gute Freunde, mit denen man sich bestens versteht“. Es bestehe „Offenheit, auch die heikelsten Fragen im Zeichen des gegenseitigen Respekts offen zu diskutieren und sich nicht aufgrund von Vorurteilen basierend auf Medienberichten abzuschotten“. Den Artikel ziert ein großes Foto vom Händedruck von Szijjártó mit Mangold.
Völlig schleierhaft bleibt, in welcher Eigenschaft und warum überhaupt die 53-Jährige Gespräche über die Ukraine führte. Sie muss oder müsste um die engen Kontakte Szijjártós zu Putin wissen. Mindestens zwölf Mal war der Außenminister seit Kriegsausbruch im Kreml. Er kübelt gegen die Sanktionen gegen Russland, gegen die Haltung aller EU-Mitgliedsstaaten minus Ungarn. Aber: „Die Hausspitze des Staatsministeriums wurde weder über den Termin, noch über die Inhalte vorab informiert“, sagt ein Sprecher. Sein Kollege im Justizministerium schweigt sich inzwischen aus. Detailfragen zum Vorgehen der Ministerin bleiben unbeantwortet.
Gemeinsam für freie Presse
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Alle Artikel stellen wir frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade in diesen Zeiten müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass kritischer, unabhängiger Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen