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Politik„Hey Süße/r, geiler Arsch“

Die Hausspitze in Baden-Württembergs Innenministerium verhindert, dass eineBachelorarbeit zu sexuellen Belästigungen bei der Polizei öffentlich zugänglichwird. Kontext veröffentlicht Erkenntnisse daraus exklusiv.

Welche Erfahrungen Polizist:innen mit Vorgesetzten und mit Kolleg:innen gemacht haben, soll nicht nach außen dringen. Foto: Julian Rettig

Von Johanna Henkel-Waidhofer

Die Polizeiobermeisterin hat ihre Einstandsfeier auch noch nach Jahren in übler Erinnerung: Ihr Chef war handgreiflich geworden. „Ich will das nicht!“, wehrte sie sich und bekam ein „Stell dich nicht so an“ zur Antwort. Wenig später, auf einer der sogenannten Blaulicht-Partys, die gerühmt werden als „beste Gelegenheit, mit Gleichgesinnten entspannt zu feiern“, musste die Frau den Kriminalhauptkommissar wieder in die Schranken weisen. „Ich will das nicht“, wehrte sie ihn erneut ab. Sinngemäß habe er erwidert, sie könne doch einfach mal etwas netter sein zu ihm, was sich womöglich auswirken würde auf ihre Beurteilungen.

Ein Einzelfall, darauf weist die Autorin der Bachelorarbeit ausdrücklich hin. Neben einer quantitativen Befragung hat die Studierende an der Hochschule für Polizei (HfPol) in Villingen-Schwenningen drei Interviews geführt, zwei mit betroffenen Beamtinnen, eines mit der Beauftragten für Chancengleichheit im Mannheimer Präsidium. Die Gesprächsprotokolle sind den statistischen Auswertungen beigefügt. Es sind ausführliche Berichte mitten aus dem Alltag: über den schmalen Grat zwischen kollegialer Nähe und inakzeptablen Übergriffen, zwischen Team- und Korpsgeist, zwischen Sympathie und Antipathie.

In Mannheim hat ein einschlägiger Workshop stattgefunden, in Anwesenheit von Landespolizeipräsidentin Stefanie Hinz, unter anderem zum achtsamen Umgang mit Sprache. Im Nachgang wurde die Veranstaltung „Hexenkreis“ getauft. Eine der 16 Fragen, die die Teilnehmenden zu beantworten hatten, verlangt nach einer Einschätzung des Zurufs „Hey Süße/r, geiler Arsch“. Zehn Prozent entschieden sich für die Kategorie „sexuelle Belästigung“, 69 Prozent allerdings für „kommt darauf an“, also auf die Umstände und darauf, wer sich wann, wo, in welchem Kreis, mit welchem Habitus und Anspruch derart äußert.

Die Mehrheit meldet Übergriffe nicht

Keineswegs alle Bachelorarbeiten an deutschen Hochschulen entsprechen akademischen Ansprüchen, gerade mit Blick auf die wissenschaftlichen Standards in Theorie, Forschung und Argumentation. Die Arbeit aus dem Jahr 2020 ist allerdings sorgfältig, in vier Kapiteln klar strukturiert, versehen mit einem Fazit. Studierende und Beamt:innen im Präsidium Ludwigsburg haben sich online beteiligt. Von 905 ausgefüllten Bögen waren 798 für die statistische Analyse verwertbar. Sie sind die Basis der beiden Zahlen, die im Untersuchungsausschuss des baden-württembergischen Landtags zur Beförderungspraxis bei der Polizei schon mehrfach zur Sprache kamen: Knapp 21 Prozent sind demzufolge schon einmal sexuell belästigt worden, davon haben wiederum 62 Prozent den Vorfall nicht gemeldet.

Das Innenministerium hält die Bachelorarbeit seit Jahren unter Verschluss. Über die Motive der Heimlichtuerei wabern Gerüchte, amtliche Erklärungen gibt es auch auf Nachfrage nicht. Jedenfalls nährt das Vorgehen Misstrauen gegenüber der Chefetage. Es stellt sich zwangsläufig die Frage, warum die Befürchtungen so groß sind,dass im Hause von Minister Thomas Strobl(CDU) – ungerechtfertigt – die wissenschaftliche Tiefe problematisiert und die Arbeit insgesamt als strukturell ungeeignet bewertet wird, um dem heiklen Thema gerecht zu werden. Martin Schatz, der frühere Rektor der HfPol, erwähnte in seiner Zeugenaussage vor dem Ausschuss im Landtag: Nach Abschluss und Bewertung sei die Arbeit auf dem Server der Hochschule völlig frei zugänglich gewesen.

Wäre sie das immer noch, könnte sich die interessierte Öffentlichkeit einen eigenen Eindruck von der Qualität der 130 Seiten machen und viele aufschlussreiche Details erfahren. Die Autorin hat von den Teilnehmenden zusätzlich Freiantworten erbeten, darunter zu ihrem Verständnis des Begriffs sexuelle Belästigung. Da geht es keineswegs nur um körperliche Übergriffe, sondern ebenso um verbale Anzüglichkeiten, um Bemerkungen, bei denen es – siehe oben – sehr darauf ankommt, wer in welchem Tonfall beispielsweise diesen nur vermeintlich harmlosen Satz sagt: „Die schöne Praktikantin ist auch da.“

Die Erkenntnisse aus der Forschung könnten eine Diskussionsgrundlage sein, erst recht unter Polizist:innen, im Idealfall aktiv angestoßen von Präsidentin Hinz sowie anderen Führungskräften des Ministeriums – etwa um zu klären, warum so viele einschlägige Vorfälle nicht gemeldet werden. Die Antworten auf diese Frage Nummer 14 bieten jedenfalls „tiefe Einblicke“, schreibt die Verfasserin. Drei von vier sexuell Belästigten, die den Vorfall intern nicht anzeigen, öffnen sich in der Familie und Freunden gegenüber. Gut die Hälfte nimmt für sich in Anspruch, die betroffenen Kolleg:innen direkt anzusprechen, wenn sie von einem einschlägigen Vorfall erfahren.

„Daraus lässt sich entnehmen, dass es viele gibt, die nicht einfach wegschauen und sich über die Empfindungen des Opfers erkundigen wollen“, schreibt die Autorin und stellt der Polizei damit ein vergleichsweise gutes Zeugnis aus. Über das aber ebenfalls nicht gesprochen werden kann, weil die Arbeit Geheimsache ist und offenbar bleiben soll.

Niemand will ein Kameradenschwein sein

Bedenklich ist hingegen das Bild, das vom Verhältnis zu Vorgesetzten gezeichnet wird. Nur drei Prozent der Betroffenen suchen nach Vorfällen den Kontakt zum Chef oder zur Chefin. Einen Grund nannte Burkhard Metzger, früher Präsident des Präsidiums Ludwigsburg, bei seinem Auftritt im Untersuchungsausschuss: Polizeibeamt:innen müssen sexuelle Übergriffe von Rechts wegen anzeigen; das gilt aber nicht für die zahlreichen Gleichstellungsbeauftragten, die in Baden-Württembergs Polizei als Ansprechpartner:innen fungieren

Mit Schamgefühl und Angst vor beruflichen Nachteilen begründen jeweils 73 Prozent oder 566 der Teilnehmenden ihre Zurückhaltung. 69 Prozent geben an, nicht als „Kameradenschwein“ dastehen zu wollen. „Man verbringt viel Zeit mit den Kollegen“, resümiert die Autorin, „Dienstgruppen sind ein eingeschworenes Gefüge, das man nicht zerstören will.“ Mit einer bestimmten Person führen die Leute gern Streife, wird als Beispiel geschildert, aber wenn die eine sexuelle Belästigung anzeige, „dann fragen sich Kollegen, zeigt die mich auch ‚einfach so‘ an.“

Anzeigen ohne Grund sind indessen eine Rarität. Sind aber Verfahren erst einmal eingeleitet, können sie erhebliche Konsequenzen haben, wie auch Untersuchungen aus anderen Bundesländern deutlich machen. So fand in Güstrow, Landkreis Rostock, im Herbst ein Fachtag Gleichstellung statt zum Thema „Stell Dich nicht so an, der meint das nicht so …“. Zur Sprache kamen dabei – unter vielem anderen – die gravierenden Folgen einschlägiger Vergehen, etwa dass nach der Rechtsprechung sexuelle Belästigung einen Grund zur Kündigung darstellt, bei schwerer Pflichtverletzung sogar fristlos. Oder dass beamtenrechtlich die Bezeichnung einer Kollegin als „EK-Hure“ oder in einem anderen Fall die Vokabel „Bückstücke“ zu Gehaltskürzung geführt haben. Ein Anwärter wurde gar nicht mehr Polizist, sondern „wegen charakterlicher Mängel“ entlassen, weil er die Teilnahme an einer Arbeitsgruppe mit Frauen so verweigerte: „Ihr Schlampen wollt doch eh bloß ficken.“

Falschbezichtigungen sind „äußerst selten“

Bei einer Online-Befragung von Studierenden der Deutschen Hochschule der Polizei (DHPol) mit Sitz in Münster wurden „typische Begehungsformen“ erfasst, wie Hinterherpfeifen, Po, Beine oder Brust berühren, Anstarren, Bemerkungen über Sexualleben, über Befähigung wegen des Geschlechts oder Verbreiten anstößiger Bilder. „Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz ist Hochverrat an den Grundwerten der Polizeifamilie“, schreiben die Autor:innen, die übrigens auch feststellten, dass Falschbezichtigungen „äußerst selten“ sind. Und bestätigten, dass viele Geschädigte Übergriffe still dulden anstatt sich zu beschweren.

Wird sie sich dafür einsetzen, dass die Studie zugänglich wird? Landespolizeipräsidentin Stefanie Hinz. Foto: Joachim E. Röttgers

An der HfPol in Villingen-Schwenningen sollte im Nachgang der ersten eine zweite Arbeit geschrieben werden – was das Innenministerium verhindert hat, wie im Untersuchungsausschuss aktenkundig wurde. Immerhin, bestätigte Ex-Rektor Schatz, absolviere eine Professorin derzeit ein Forschungssemester zum Thema, „und das steht der Hochschule gut zu Gesicht“. Vielleicht kommt eine der drei interviewten Betroffenen nochmals zu Wort, die das Verhalten ihres Chefs nicht einfach hinnehmen wollte und mit ihren Erfahrungen an die Öffentlichkeit ging. Von einer „dreijährigen Tortur“ berichtet sie, aber sie habe einfach nicht akzeptieren können, „dass er noch einmal die Chance bekommt, mit einer jungen Kollegin so was zu machen“.

Die frühere Obermeisterin erzählte den Abgeordneten im Ausschuss auch, wie sie vor Weihnachtsfeiern und anderen Festen „stundenlang“ vor ihrem Schrank stand und überlegte, was sie anziehen sollte – „immer mit dem Gedanken, wenn du jetzt irgendwas Falsches anziehst, wenn du dich zu stark schminkst, dann bestätigst du es für alle“. Es? Dass das Opfer eben doch „selber schuld“ sei oder zumindest „mitschuld“.

Gerade Stefanie Hinz muss sich fragen lassen, ob sie als Landespolizeipräsidentin – die erste Frau in diesem Amt in der Landesgeschichte – der fünf Jahre alten Arbeit nicht endlich zu der gebührenden Beachtung verhelfen muss. Die bisher geübte Diskretion ist völlig fehl am Platz.

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