Politik: In die Tonne getreten
Grüne und CDU in Baden-Württemberg haben den Plan beerdigt, etwas für mehr Tariftreue zu tun. Das steht zwar im Koalitionsvertrag, aber wenn es um die Stärkung von Beschäftigten geht, fühlt sich offenbar keine der beiden Parteien zuständig.
Von Gesa von Leesen
Was haben die Grünen dafür wohl bekommen? Ein ganzes Paket an Gesetzesvorhaben wurde von den baden-württembergischen Regierungsparteien noch kurz vor der Sommerpause beschlossen. Mobilitätsgarantie, Mobilitätsabgabe, Senkung von Standards beim Bauen, neue Schullandschaft. Und dabei ist die im Koalitionsvertrag angekündigte Novellierung des Tariftreuegesetzes in der Mülltonne gelandet. Grund: Bürokratieabbau. Das verkündete ganz ernsthaft Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) vorige Woche beim Unternehmertag in Stuttgart. Die „Stuttgarter Zeitung“ vermeldete es, und so erfuhr DGB-Landeschef Kai Burmeister davon. Der ist wütend, sagt aber auch: „Es wundert mich nicht.“ Er habe den Eindruck, die Grünen trauten sich in dieser Koalition nichts mehr.
Im Koalitionsvertrag von 2021 hatten Grüne und CDU noch vereinbart: „Wir wollen das Landestariftreue- und Mindestlohngesetz durch die Absenkung des Schwellenwerts auf 10.000 Euro und die Erweiterung um regionale Tarifverträge stärken.“ 2013 hatte die damalige grün-rote Landesregierung ein Tariftreuegesetz beschlossen. Das verpflichtet die öffentliche Hand, Aufträge ab 20.000 Euro an Tarifverträge beziehungsweise branchenspezifische Mindestlöhne zu koppeln. Theoretisch. Das Gesetz gilt nur für ein paar Branchen, zum Beispiel Bau. Da ist der Branchenmindestlohn sowieso vorgeschrieben. Und im ÖPNV muss ein Unternehmen unterschreiben, dass es für den öffentlichen Auftrag mindestens den Lohn eines repräsentativen Tarifvertrages zahlt. Bekommt ein Busfahrer dann Tariflohn, wenn er für den besagten öffentlichen Auftrag unterwegs ist, und wenn er woanders fährt, kriegt er weniger?
Im Grunde regelt das Landestariftreue- und Mindestlohngesetz (LTMG) in der jetzigen Fassung sehr wenig. Mindestlohn muss sowieso jeder Betrieb zahlen, und für bestimmte Branchen müssen Unternehmen zwar eine Verpflichtungserklärung zur Tariftreue unterschreiben, aber die kontrolliert niemand. Deswegen wäre eine Novellierung wichtig gewesen. Der DGB fordert für öffentliche Auftragsvergaben schlicht und klar, dass die „auf Grundlage der jeweils geltenden Tarifverträge der jeweiligen Branche“ erfolgt, und zwar ab einem Schwellenwert von 10.000 Euro. Burmeister: „Das ist einfach und unbürokratisch umsetzbar.“ Außerdem sollen Fördergelder an Tariftreue gekoppelt werden.
Aber als Gesprächspartner ist der DGB für die Grünen nicht allzu wichtig. Wichtiger ist offenbar die Gegenseite, der Unternehmerverband. Andreas Schwarz, Vorsitzender der Grünen Landtagsfraktion erklärt, man habe eine Novellierung des Tariftreuegesetzes „mehrfach gewogen und nicht weiterverfolgt“. Verschiedene Kreise hätten gefragt, wie zusätzlicher Verwaltungsaufwand bewältigt werden solle, also hätten die Grünen Abstand genommen. Es sei zudem der Wunsch aufgekommen, das Landestariftreuegesetz aufzuheben. Dem habe er widersprochen und dafür gesorgt, dass das bestehende Landestariftreuegesetz erhalten bleibt. Denn er glaubt: „Damit werden Wettbewerbsverzerrungen bei der Vergabe öffentlicher Aufträge in Baden-Württemberg unterbunden und Unternehmen unterstützt, die ihren Beschäftigten Tariflöhne bezahlen.“ Am Ende bleibt: Die versprochene Novellierung gibt es nicht. Ist der Koalitionsvertrag also egal? „Nein, der ist nicht egal“, sagt Schwarz. Aha.
Es hagelt Kritik
Andreas Schwarz, Vorsitzender der Grünen Landtagsfraktion erklärt, Man habe eine Novellierung des Tariftreuegesetzes „mehrfach gewogen und derzeit nicht weiterverfolgt“. Verschiedene Kreise hätten gefragt, wie zusätzlicher Verwaltungsaufwand bewältigt werden solle, also hätte die Koalition Abstand genommen. Er, Schwarz, habe sich aber sehr dafür eingesetzt, dass das bestehende Gesetz nicht abgeschafft wird. Ist der Koalitionsvertrag also egal? „Nein, der ist nicht egal.“
SPD-Fraktionschef Andreas Stoch ist eher mäßig überrascht von der ganzen Geschichte. Für ihn zeige sich immer wieder, dass die CDU den Koalitionsvertrag zwar unterschrieben habe, um an der Macht zu bleiben, ihn aber nie umsetzen wollte. Und auf Geheiß von Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) ordnete dessen Fraktion dem Koalitionsfrieden alles unter. „Außerdem haben Kretschmann und einige Teile der Grünen bei Arbeitnehmerrechten noch nie besonderen Ehrgeiz an den Tag gelegt.“ Kurz und gut: Erst ein neues LTMG zu versprechen und das jetzt abzublasen, das „ist doch Leute verarschen“, findet Stoch.
Genau das will der DGB-Chef nicht mit sich machen lassen. „Nach dem Sommer werden wir Druck aufbauen“, kündigt Kai Burmeister an. „Mit diesem Verhalten lassen CDU und Grüne verantwortungsvolle Unternehmerinnen und Unternehmer, die sich an Tarifverträge halten, hängen und betreiben das Geschäft der Billigheimer. Das werden wir thematisieren.“
Verbündete kann der DGB bei der Grünen Jugend finden. Deren Sprecherin Elly Reich findet das Vorgehen gerade ihrer Partei beim Beerdigen des Tariftreue- und Mindestlohngesetzes frustrierend. „Uns in der Grünen Jugend sind soziale und Gewerkschaftsthemen sehr wichtig.“ Und das LTMG sei eines ihrer Kernanliegen. „Die Gleichstellungsstrategie, die im Koalitionsvertrag festgeschrieben ist, ist auf der Strecke geblieben, und nun auch das Tariftreuegesetz – das ist übel.“ Genauso übel wie die Begründung: Bürokratie. Für Reich „geht es viel zu oft nicht um Bürokratieabbau, sondern um den Abbau von Sicherungen für Schwächere, und dann wird das Ganze unfairer“.
Nicht Tariftreue sorgt für Bürokratie
Das mit dem Bürokratieabbau findet Thorsten Schulten von der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung schon fast amüsant. Das Komplizierte in diesem Land sei die Vergabeordnung, sagt er, also die Regeln, wie öffentliche Aufträge vergeben werden. „Damit hat man bildlich gesprochen einen hohen Stapel Papier da liegen. Und dann legt man eine Seite Tariftreuegesetz obendrauf – und schon ist das für alle Formalitäten verantwortlich.“ Der Tarifexperte beobachtet, wie in der Republik Tariftreuegesetze ihren Weg nehmen. Berlin und Brandenburg seien vorbildlich, sagt Schulten, das Saarland habe ein etwas umständliches, Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern machen mit, und nun will sogar Nordrhein-Westfalen eines. Dank dessen Arbeitsminister Karl-Josef Laumann, CDU, der ein CDA-Mann ist, also vom arbeitnehmerfreundlichen Flügel der CDU.
Und es sei auch gar nicht so kompliziert, Tariftreue zu fördern, sagt Schulten: „Man könnte bei staatlichen Fördergeldern, zum Beispiel an die Halbleiterindustrie, doch soziale Kriterien wie Tarifbindung zur Bedingung machen. Vor allem würde es helfen, wenn wieder mehr Tarifverträge für allgemeinverbindlich erklärt werden.“ Das gab es früher häufiger, heute kann der Arbeitgeberverband das mit einem Veto blockieren. Schulten: „In der Bewachungsbranche wurde der Tarifvertrag für allgemeinverbindlich erklärt, gilt also für jedes Unternehmen. Da hat die Arbeitgeberseite begriffen, dass sie in Teufels Küche kommt, wenn jede Sicherheitsfirma die Gehälter anders regelt.“
Die Dankbarkeit des Unternehmerverbandes dafür, dass CDU und Grüne ihm ein novelliertes Tariftreuegesetz ersparen, reicht übrigens nicht weit. Nur wenige Tage nachdem Ministerin Hoffmeister-Kraut dem Verein UWB (Unternehmer Baden-Württemberg, personell eng verflochten mit Südwestmetall) verkündet hatte, dass da nichts kommt, verschickte der UWB eine Pressemitteilung, in der er „überbordende Regelungswut“ kritisierte und „Rückbesinnung auf den Kern staatlichen Handelns“ forderte.
Die EU will mehrIm Südwesten arbeiten noch etwa die Hälfte aller Arbeitnehmer:innen mit einem Tarifvertrag, Deutschlandweit sind es 48 Prozent, damit liegt die Bundesrepublik EU-weit auf einem schlechten Platz 18. Die EU will mehr: In Untersuchungen hat sie festgestellt, dass da, wo starke Tarifbindung herrscht, die Löhne und die allgemeinen Arbeitsbedingungen besser sind. In der vergangenen Legislaturperiode verabschiedete das EU-Parlament darum die Mindestlohnrichtlinie, die nicht nur Mindestlöhne fördert, sondern auch Tarifbindung voranbringen will. EU-Länder, die weniger als 80 Prozent Tarifbindung aufweisen, sollen bis Mitte November dieses Jahres einen Aktionsplan vorlegen, wie sie gedenken, die Situation in ihrem Land zu verbessern. Das ist nicht mehr lange hin, dennoch ist nichts passiert. Auf Anfrage erklärt das SPD-geführte Bundesarbeitsministerium, es müsse voraussichtlich so ein Aktionsplan erstellt werden. Aber: „Zu einer etwaigen inhaltlichen Ausgestaltung kann derzeit keine Auskunft gegeben werden.“(lee)
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