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PolitikZwei ziemlich gute Freunde

Manuel Hagel, die Nummer eins in Baden-Württembergs CDU, lässt sich nicht gern an seine Schwärmereien für Sebastian Kurz erinnern. So überrascht es, dass er seine Kontakte zu Österreichs tief gefallenem Ex-Bundeskanzler jetzt aufgefrischt hat.

Manuel Hagel (links) und Sebastian Kurz am Abend des 19. Juni in einer In-Kneipe im Stuttgarter Süden. Foto: privat

Von Johanna Henkel-Waidhofer

Ein In-Lokal in der Tübinger Straße im Stuttgarter Süden vor zwei Wochen. Hippes Publikum natürlich, mittendrin die beiden Mittdreißiger aus Wien und Ehingen Sebastian Kurz und Manuel Hagel. Sie erinnern an die im Netz mit immer neuen Fahrstuhl-Szenen Millionen Klicks erzielenden „Elevator-Boys“. Offizielle Auskünfte zu dieser Begegnung gibt es keine. Inoffiziell heißt es, Österreichs einstiger Polit-Superstar komme eben viel rum im Auftrag unter anderem zweier Unternehmen aus den Arabischen Emiraten und als Strategieberater zum Wohle seiner eigenen SK Consulting. Die wiederum liefert „makroökonomische Einblicke und Einschätzungen zur Zukunft verschiedener Märkte und Branchen“ und versteht sich als kompetent für „die Entwicklung starker und überzeugender Narrative“.

So gesehen hätte SK dem CDU-Landes- und Fraktionsvorsitzenden Hagel von dem Treffen wohl besser abgeraten. Erstens, weil dieser erkannt wurde und nun nichts mehr dagegen tun kann, dass sich herumspricht, mit wem er da Umgang hatte, zumal auch noch Schnappschüsse entstehen. Und zumal Kurz – noch nicht rechtskräftig zu acht Monaten Haft verurteilt wegen Falschaussage vor einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss – selber Promi ist.

Zweitens passt das Treffen so gar nicht zu Hagels Geschichte, dass er an Kurz kaum interessiert war und ist. Und schon gar nichts will er davon wissen, dass er den ÖVPler früher als politisches Vorbild sah. Wie so viele deutsche Christdemokrat:innen, die den Aufstieg des Österreichers mit staunender Bewunderung verfolgten. Nach dessen erstem großen Wahlsieg, der den juvenilen Außenminister 2017 zum Regierungschef werden ließ, lobt Hagel dessen „klare Sprache“ und schickt eine „herzliche Gratulation“ nach Wien, zwei Jahre später bewundert er die „klare Linie“ und „klare Haltung“.

Es ist die Zeit, in der der Wiener vielerorts im konservativen Europa und speziell vom deutschen Boulevard gehypt wird. „Warum haben wir nicht so einen?“, fragt „Bild“. Er bringe genau das mit, wonach sich viele sehnten, urteilt damals der heutige CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann: „Führungsverantwortung, klare Sprache, Zukunftsgewandtheit.“ Das „Anti-Merkel-Modell“, schrieben die „Stuttgarter Nachrichten“. Dass der Jura-Student ohne Abschluss damals die weit rechts stehende FPÖ trotz anderer Regierungsmöglichkeiten an den Kabinettstisch holte, tat der Anerkennung keinen Abbruch. Noch keinem österreichischen Kanzler sei gelungen, „in einem solchen Ausmaß zum Hoffnungsträger, zum Vorbild und zur politischen Avantgarde für eine ganze Generation von Christdemokraten zu werden“, befand die „Zeit“.

Warum trifft Hagel sich mit dem?

MH, wie Hagel in seinem Team genannt wird, könnte also problemlos zu seiner damaligen Einschätzung stehen. Zumal er sich nicht gewehrt hat, wenn der langjährige CDU-Haudegen Karl Zimmermann ihn als „unseren Sebastian Kurz von Baden-Württemberg“ begrüßte. Das war im Winter 2020 in der Zehntscheuer in Nabern (Landkreis Esslingen), als der damalige Generalsekretär schon zum schwarzen Shooting-Star erkoren war. Und als er nach der Landtagswahl 2021 Fraktionschef wird, macht er selber die Namen der Gratulant:innen öffentlich: Die Liste reicht von Armin Laschet über Markus Söder bis zu Sebastian Kurz, berichtet die „Schwäbische Zeitung“.

Weil Hagel schweigt, bleiben die eigentlichen Gründe für seine Abkehr im Dunkeln. Nahe liegt es, sie im heftigen Absturz des einstigen Schwiegermuttertyps zu vermuten, im ramponierten Image, das sich der Kanzler in der Wiener Hofburg hart erarbeitet hat. Nach dem Skandal rund um das berühmt-berüchtigte „Ibiza-Video“ von 2019 hatte Kurz die Koalition mit den rechtsaußen postierten Freiheitlichen aufgekündigt – heute bereut er das übrigens, ausweislich der Interviews, die er gerade reihum gibt. In der zweiten Amtszeit, diesmal mit den Grünen regierend, musste er erleben, dass die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft gegen ihn zu ermitteln begann – woraufhin diese Koalition ebenfalls zerbrach.

Nach und nach kamen hunderte SMS ans Licht, darunter hochnotpeinliche. Sie illustrierten, dass und wie Kurz mit einer kleinen Schar Getreuer versuchte, die alleinige Kontrolle über Führungsebenen in Ministerien und Schlüsselpositionen über die Politik hinaus zu erlangen und zu behalten, wie mit Behauptungen munter andere schlechtgemacht wurden. Längst ist vieles in die Geschichtsbücher eingegangen und mittlerweile selbst der österreichische Boulevard besonders streng. Als „französischen Sebastian Kurz“ bezeichnet die auflagenstarke „Kronen-Zeitung“ Jordan Bardella, den politischen Ziehsohn von Marine Le Pen, zu Wochenbeginn nach dem ersten Parlamentswahlgang in Frankreich und analysiert eine „perfekte Machterschleichung“.

Die Politikwissenschaftlerin Natascha Strobl hat sich jahrelang mit den Methoden des ehedem jüngsten Außenministers Europas befasst, mit dessen „Tricks“ und mit „der Kunst des Lösens fiktiver Probleme, die bei Bedarf immer wieder ins Rampenlicht gerückt werden“ könnten. So sei ein und dieselbe radikale Moschee mehrfach geschlossen worden. Auch habe es Kurz wie kaum ein anderer verstanden, „das alte Spiel von Land gegen Stadt zu spielen“. Die eine sei eben voller Obergescheiter, das andere dagegen stehe für Bodenständigkeit und Zusammenhalt.

„Von Könnern lernen“

Vielleicht haben die zwei ziemlich guten Polit-Freunde genau über solche Sachen gesprochen. Anfang Mai schlugen Südwest-CDU und CSU jedenfalls eben jene Saite an. „Die Ampel ist ein reines Großstadtbündnis“, heißt es in einer gemeinsam in Lindau verabschiedeten Erklärung, und die Bundesregierung versuche, den ländlichen Raum zu schwächen. Schon als Generalsekretär hatte Hagel auf heiße Tipps aus Wien zurückgegriffen, gerade in Sachen Digital-Wahlkampf, wollte „von Könnern lernen“. Womöglich feixten Hagel und Kurz aber sogar schon vorab über den wochenlang vorbereiteten Coup, die Mannheimer Grünen-Bundestagsabgeordnete Melis Sekmen in die Unionsfraktion zu holen. Hagels Reaktion hat jedenfalls Kurzsche Qualitäten, wenn er den Übertritt bejubelt: „Das passt so herrlich zur CDU Baden-Württemberg als politische Heimat für die fleißigen Menschen im Land.“ So wird subtil, aber unmissverständlich mittransportiert, dass er den grünen Koalitionspartner genau dafür nicht hält.

Oder der Österreicher hat berichtet, wie es sich so lebt nach dem Ausstieg aus der Politik, als er zur Thiel Capital nach Kalifornien wechselte und damit in die Dienste jenes gebürtigen Frankfurters Peter Thiel, der in den USA Milliarden machte und Teile davon 2020 in den Wahlkampf von Donald Trump nahestehenden Republikanern steckte.

Oder sie haben sich an diesem späten Mittwochabend doch bloß über den Sieg der deutschen Fußball-Nationalmannschaft über Ungarn gefreut, in dem schicken Kontor, in dem Wein statt Bier gezapft wird. Kurz hätte ihm berichten können, wie er sich so gefühlt hat als Ehrengast beim WM-Endspiel in Katar im Dezember 2022. Und Hagel selber schlüpft ohnehin schon mal ins Mannschaftstrikot – um natürlich nur gegen den Ball zu treten.

Kontext stellte konkrete Fragen zum Treffen im Stuttgarter Süden, unter anderem dazu, von wem die Initiative ausging und wie der Kontakt zwischen Manuel Hagel und Sebastian Kurz überhaupt zustande kam. Steffen Tanneberger, der Pressesprecher der CDU-Landtagsfraktion, reagierte knapp und unmissverständlich: „An diesen Spekulationen beteilige ich mich nicht.“

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