Politik nebenan: In Deutschland bleibt nur Putzen
Viele Migranten sind arbeitslos, weil ihre Abschlüsse von Behörden nicht anerkannt werden. Die Sozialarbeiterin Lorena Domínguez musste putzen.
Das will die Union
Migration: Zum Einwanderungsland kann sich die Union noch immer nicht bekennen: "Deutschland ist ein Integrationsland", heißt es im Wahlprogramm. Willkommen sei, wer die "Werte unserer Gesellschaft und Deutschland als Heimat annehmen will".
Staatsbürgerschaft/Teilhabe: Die Union ist gegen die doppelte Staatsbürgerschaft. Sie will die Optionspflicht überprüfen und, wenn nötig, "rechtliche und praktische Schwierigkeiten beheben". Das kommunale Wahlrecht für Nicht-EU-Bürger lehnt sie ab.
Flüchtlingspolitik: Aus Sicht der Union müssen die EU-Mitgliedstaaten die Zuständigkeit fürs Asylrecht behalten. Vereinheitlichungen auf EU-Ebene lehnt sie ab.
Das will die FDP
Migration: Für die FDP ist Deutschland ein Einwanderungsland. Mit der Einführung eines Punktesystems will sie die Einwanderung steuern und zielt dabei besonders auf hoch qualifizierte Arbeitnehmer.
Staatsbürgerschaft/Teilhabe: Aus Sicht der FDP kann die Integration durch die doppelte Staatsbürgerschaft gefördert werden.
Flüchtlingspolitik: Die FDP spricht sich für eine humanitäre Zuwanderungspolitik auf der Grundlage des internationalen Flüchtlingsrechts aus. Die Zusammenarbeit der EU im Einwanderungs- und Asylbereich dürfe nicht zu einem Absenken auf das niedrigste Niveau führen, argumentieren die Liberalen.
Das wollen die Grünen
Migration: Die Grünen wollen ein Punktesystem zur Einwanderung einführen und die Beschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit in der EU beenden. Der Familiennachzug soll erleichtert werden.
Staatsbürgerschaft/Teilhabe: Die Einbürgerung wollen die Grünen erleichtern - durch die Möglichkeit der doppelten Staatsbürgerschaft und durch die Senkung der Gebühren. Die Optionspflicht soll abgeschafft werden.
Flüchtlingspolitik: Die Grünen lehnen Abschottung an den EU-Außengrenzen ab. Sie fordern eine großzügige Bleiberechtsregelung für langjährig geduldete Flüchtlinge.
www.gruene.de/partei/programm.html
Das will die Linke
Migration: Die Linke will den Familiennachzug Kindern und Partnern in gleichgeschlechtlichen Beziehungen sowie Verwandten zweiten Grades ermöglichen.
Staatsbürgerschaft/Teilhabe: Die Linke fordert einfachere Einbürgerung, eine doppelte Staatsbürgerschaft müsse "grundsätzlich möglich sein".
Flüchtlingspolitik: Die Linke will die EU-Grenzschutzagentur Frontex auflösen, Asylbewerberleistungsgesetz und Kettenduldungen abschaffen. SAM
www.die-linke.de/wahlen/positionen/wahlprogramm
Das will die SPD
Migration: Die SPD versteht Deutschland als Einwanderungsland. Sie will Einwanderung von Fachkräften - mit Blick auf den Fachkräftemangel - steuern und Ehegattennachzug erleichtern.
Staatsbürgerschaft/Teilhabe: Die SPD akzeptiert die doppelte Staatsbürgerschaft, zur Optionspflicht äußert sie sich im Wahlprogramm nicht. Sie ist für das kommunale Wahlrecht für Nicht-EU-Bürger nach einem Aufenthalt von sechs Jahren.
Flüchtlingspolitik: Die SPD will Kettenduldungen abschaffen. Kann der Aufenthalt aus humanitären Gründen nicht beendet werden, soll ein Aufenthaltstitel erteilt werden. Dies bedeutet eine Reform der Bleiberechtsregelung.
"Meine Erfahrungen sind alle aus Mexiko", sagt Lorena Domínguez. Dort hat die Sozialarbeiterin Ende der 80er-Jahre studiert, Anfang der 90er arbeitete sie mit drogenabhängigen Jugendlichen in Problemvierteln in Mexiko-Stadt. Sie selbst hat diese Arbeitserfahrung nicht in Mexiko gelassen - es ist Deutschland, das ihr altes Leben nicht anerkennt.
Lorena Domínguez sitzt in einem Hinterhaus in Berlin-Prenzlauer Berg in den Räumen eines Vereins, der sich um die Probleme von südamerikanischen Frauen in der Hauptstadt kümmert. Hier hat die Sozialarbeiterin eine Arbeit gefunden - nach vielen Jahren der Suche.
2001 kommt die damals 31-Jährige mit ihrer kleinen Tochter nach Deutschland. Der Liebe wegen zieht sie zu einem Mann nach Berlin. Die ersten zwei Jahre kümmert sie sich um ihre Tochter, dann will sie wieder arbeiten.
Ihre Probleme sind die vieler MigrantInnen: Mit ihrem Mann spricht Domínguez spanisch, deutsch spricht sie nur gebrochen. Und: Der Versuch, ihre Ausbildung in Deutschland offiziell anerkennen zu lassen, scheitert. Sie landet in einer Reinigungsfirma, putzt in Schulen. Ihre Kolleginnen sind Türkinnen, Russinnen, Afrikanerinnen. "Die anderen haben auch kaum deutsch gesprochen", erinnert sie sich. Das Sprachproblem bleibt. Ihr Arbeitgeber verlangt, dass sie frühmorgens arbeitet. "Aber ich habe doch eine Tochter, um die ich mich kümmern musste." Nach sieben Monaten kündigt Domínguez den Job. Sie will wieder Sozialarbeit machen, findet aber keinen Job in der Branche. "Hier braucht man immer ein Zeugnis, das belegt, dass Sie hier ausgebildet sind."
Lorena Domínguez bekommt jetzt Sozialhilfe. Von der zahlt sie 2004 ihre Deutschkurse selbst. Sie bewirbt sich in spanischen Kitas, wird aber abgelehnt, weil sie keine Erzieherin ist. Die Sozialarbeiterin besucht Fortbildungen zur Arbeit mit Jugendlichen und macht zwei Praktika. Sie arbeitet mit Kindern in einem spanisch-deutschen Kindergarten und hospitiert in einem südamerikanischen Frauenverein. Erfolg hat sie keinen. "Ich hatte zwei Praktika gemacht, trotzdem fand ich keinen Job." Manchmal habe sie darüber nachgedacht, nach Mexiko zurückzugehen, erzählt sie. Sie vermisste ihren Beruf.
Mehr als drei Jahre hat sie von Hartz IV gelebt, als ihr 2008 ein Job als Küchenhilfe in einem spanischen Restaurant angeboten wird. Sie nimmt an.
Eine typische Biografie, erklärt Uwe Orlowski, der sich im Netzwerk Kumulus-Plus um die Vermittlung von Migranten in den Arbeitsmarkt kümmert. "Zu uns kommen viele Ratsuchende mit Studium, die langzeitarbeitslos sind. Aus Sicht der Berliner Senatsverwaltung für Arbeit haben sie weder Titel noch Qualifikation, noch Arbeitserfahrung." Sie würden dann eingeordnet wie Deutsche ohne jede Qualifikation - und gingen oft putzen.
Bei Domínguez kommt es anders. Ende 2008 bietet ihr der Frauenverein, in dem sie ihr Praktikum machte, Arbeit an. "Ich konnte es selbst gar nicht glauben." Als Sozialarbeiterin berät sie jetzt südamerikanische Frauen, übersetzt Briefe von Behörden oder Verträge und hilft bei Schuldenproblemen. Das Land fördert ihre Stelle, sie wird aus einem Programm mitfinanziert, das Jobs im Sozialbereich fördert. Bezahlt wird weniger als üblich - für 30 Stunden sind es netto unter 1.000 Euro. Und die Arbeit ist befristet. Nach drei Jahren läuft die Förderung aus. Laura Domínguez hofft, dass ihr dann die Arbeitserfahrung als Sozialarbeiterin in Deutschland hilft.
Die Serie "Politik nebenan" erscheint bis zur Bundestagswahl jeweils montags und donnerstags. Sie erklärt, wie Politik Menschen im Alltag betrifft - und was die Parteien wollen.
Bisher erschienen: Überwachung (7. 9.), Gesundheit (10. 9.), Bildung (14. 9.), Arbeitsmarkt (17. 9.)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Nach dem Anschlag von Magdeburg
Wenn Warnungen verhallen
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Psychiater über Kinder und Mediennutzung
„Die Dinos bleiben schon lange im Schrank“
Verbotskultur auf Social Media
Jugendschutz ohne Jugend
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“