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Politblogs in NRWDie stärkste Kraft

Die regionalen Politblogs in Nordrhein-Westfalen deckten Affären um Jürgen Rüttgers auf, stachen die mächtige WAZ-Gruppe aus – und entschieden die Wahl mit.

"Uns gab es fünf Monate": Das Blog "Wir in NRW" hatte in dieser Zeit 730.000 Besucher, die 1,83 Millionen Seiten abgerufen haben. Bild: Screenshot / www.wir-in-nrw-blog.de

BERLIN taz | Wahlen kennen ein vertrautes Ritual: Hinterher haben immer alle gesiegt, wenigstens ein bisschen. Das ist trotz des noch reichlich offenen Ausgangs in Nordrhein-Westfalen nicht anders: Die CDU wurde noch einmal "stärkste Kraft", die gleichnamige SPD-Spitzenkandidatin sowieso Wahlsiegerin, die Grünen haben ihr Ergebnis fast verdoppelt, die Linken sind erstmals drin im Landtag - selbst die FDP hat im Vergleich zur Wahl 2005 hauchzart um ein halbes Prozentpünktchen zugelegt.

Aber es gibt noch andere Gewinner zwischen Rhein und Weser, und deren Ruhm ist entschieden weniger geheuchelt als das in den Düsseldorfer Parteizentralen praktizierte Schönreden des Unvermeidlichen: Es sind - die regionalen Politblogs. Sie haben dokumentiert, wie Rüttgers' Staatskanzlei und die CDU-Zentrale agiert haben, um die politische Konkurrenz auszuspähen und die eigene Kriegskasse aufzubessern.

Es begann mit der Video-Überwachung von Auftritten der SPD-Kandidatin Hannelore Kraft im September 2009 und führte über "Rent a Rüttgers" und die Offenlegung, wer da eigentlich vermeintlich unabhängige Wählerinitiativen angeschoben hatte, ins sonntägliche Wahlergebnis. Die Quellen der Blogs waren ganz überwiegend Mitglieder der CDU selbst: "Sie haben durch Dokumente das Bild des Landesvaters und Arbeiterführers zerstört; sie haben die Öffentlichkeit wissen lassen, dass dieses Bild des Jürgen Rüttgers ein kalt geplanter Feldzug zum Machterhalt war, dass der lächelnde Pulheimer ein inszeniertes Wesen ist", fasst der Wir-in-NRW-Blog des ehemaligen stellvertretenden WAZ-Chefredakteurs Alfons Pieper Rüttgers' Dilemma zusammen.

Verloren haben stattdessen die etablierten Regionalzeitungen, insbesondere die bislang meinungsführenden Blätter zwischen Köln (Stadt-Anzeiger), Düsseldorf (Rheinische Post) und Duisburg/Essen/Dortmund (WAZ plus Familie). Denn sie konnten nur noch reagieren.

Wenn WAZ-Chefredakteur Ulrich Reitz jetzt wie im ARD-"Presseclub" moniert, hier seien Vorwürfe "über Kanäle gespielt worden, die es dem herkömmlichen Journalismus mit seiner Notwendigkeit, Dinge zu überprüfen, bevor sie veröffentlicht werden, manchmal auch schwer gemacht haben", trifft das aber nicht den Kern. Denn das Geschichten nebst zugehörigem Material durchgestochen werden, ist alles andere als unüblich.

Zudem haben die Blogs wie Wir-in-NRW oder auch die Ruhrbarone nicht einseitig CDU-Bashing betrieben. Hier bekamen und bekommen auch die anderen Parteien ihr Fett weg - von verschwundenen Details aus Hannelore Krafts Lebenslauf bis zum Linken-Vize Ralf Michalowsky. Bislang haben sich alle Geschichten, über die die Blogs berichtet haben, bestätigt.

Die Frage müsste also eher lauten: Warum wurde das Material nicht zuerst der WAZ angeboten? Schließlich bespielt das Hauptblatt des gleichnamigen Zeitungskonzerns mit seinem "Content-Desk" seit dem vergangenen Jahr auch NRZ (Duisburg) und Westfälische Rundschau (Dortmund). Das ganze Revier auf dem Silbertablett - doch ein Problem: Die WAZ war, höflich formuliert, eher mal pro Rüttgers. Und ging auch eher zurückhaltend mit den Blog-Enthüllungen um. Eine große Investigation des hauseigenen Rechercheteams fand entweder nicht statt - oder nicht viel heraus.

Dafür machte Rüttgers plötzlich Wahlkampf, wie ihn der heutige WAZ-Konzerngeschäftsführer Bodo Hombach früher für einen gewissen Johannes Rau ("Wir in NRW") und eine ganz andere Partei gemacht hat.

Und die Blogs? "Uns gab es fünf Monate", schrieb Wir-in-NRW am Sonntag: 730.000 Besucher haben in dieser Zeit 1,83 Millionen Seiten abgerufen und gelesen. "Das einfach mal so." Und bei den Ruhrbaronen hat deren Frontmann David Schraven einen neuen Job: Er wechselt zum Rechercheteam - der WAZ.

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