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■ Polens Politiker debattieren wieder über AbtreibungIdeologischer Dauerbrenner

Polens Parlament hat dieser Tage aus einem der restriktivsten Abtreibungsgesetze Europas eines der liberalsten gemacht, doch ändern wird sich dadurch fast nichts. Denn Abtreibungsgesetze gehören in Polen zu jener Art von Vorschriften, deren Einfluß auf das wirkliche Leben gegen null tendiert. Und das nicht zuletzt deshalb, weil sie mit der Wirklichkeit nur am Rande etwas zu tun haben.

Als Polens von rechten, nationalen und katholischen Gruppierungen dominiertes Parlament vor anderthalb Jahren die Abtreibungsregelung verschärfte und die soziale Indikation strich, ging ein Aufschrei der Empörung durchs Land: Polen werde zu einer Art katholischem Iran, prophezeiten die Gegner der Regelung, Hunderte, Tausende unschuldiger Frauen würden im Gefängnis oder unter den Messern von Kurpfuschern enden, Familientragödien folgen. Polens verstreute Feministinnen verbündeten sich mit linken und liberalen Abgeordneten zu einem „breiten antiklerikalen Bündnis“, aus dem eine Volksbewegung gegen die Privilegien und den Einfluß der Kirche werden sollte. Heute weiß man: Das meiste davon war heiße Luft.

Das alte Abtreibungsgesetz, das Polen im Westen als erzkatholisches, unduldsames und frauenfeindliches Land in Verruf brachte, führte in Polen selbst zu 56 Ermittlungsverfahren, von denen über die Hälfte inzwischen sang- und klanglos eingestellt wurde. Niemand wurde verurteilt oder auch nur vor Gericht gestellt. Das „breite antiklerikale Bündnis“ dagegen erwies sich als Eintagsfliege, das sang- und klanglos wieder von der politischen Bühne verschwand, noch bevor es eines seiner Ziele erreicht hatte. Der Grund dafür: praktisch alle Betroffenen in Polen haben sich mit dem bisherigen Abtreibungsrecht hervorragend arrangiert.

Die Lebensschützer konnten Flagge zeigen: Abtreibung ist verboten, was außerhalb der polnischen Grenzen in puncto Abtreibungstourismus vor sich gehe, habe mit der inländischen Moral ja nichts zu tun, logen sie sich vor. Vordergründig erfüllte das Gesetz sogar ihre Hoffnungen: Die Zahl der Abtreibungen ging drastisch zurück. Für Polens Gynäkologen war das Gesetz ein gefundenes Fressen – die Honorare für illegale Abtreibungen schossen in astronomische Höhen. Auch die Frauen kamen im allgemeinen ganz gut zu recht, denn daß die Abtreibungen (in der Statistik) zurückgingen, bedeutet nicht, daß in Polen mehr Erdenbürger das Licht der Welt erblickten. Es vervielfachte sich der Absatz an Verhütungsmitteln und die Zahl der Fehlgeburten schoß dramatisch in die Höhe. Offenes Geheimnis für alle: Die künstliche Einleitung einer Fehlgeburt ist praktisch nicht nachweisbar. Geändert hat sich nur die Statistik. Die wird sich jetzt eben wieder ändern – genau umgekehrt als vorher.

Von daher wäre es vielleicht angebrachter gewesen, ein Statistikgesetz statt eines Abtreibungsgesetzes zu erlassen. Doch von Anfang an diente das Gesetz weniger zur Regelung strafrechtlicher Tatbestände als zur Profilierung radikaler Politiker und Parteien. Endlich ein Gebiet, auf dem man Flagge zeigen konnte, wo man Wahlversprechen halten kann, ohne daß sich das negativ auf die Wirtschaft auswirkt. Und so wurde die Abtreibungsdebatte zum ideologischen Dauerbrenner von Rechten und Linken. Und weil das so gut funktioniert hat, beschlossen Polens gewendete Sozialdemokraten kurz vor den Kommunalwahlen, den Wählern noch ein Zuckerl zu geben und ihr Image als Antiklerikale aufzumöbeln. Herausgekommen ist dabei ein Gesetz, das genauso dumm ist wie das vorhergehende.

Von Polens Gesetzen auf die Wirklichkeit des Alltags zu schließen war von jeher ein Fehler. Die Bevölkerung weiß Vorschriften zu umgehen oder zu ignorieren. Das Fatale des alten Abtreibungsgesetzes war daher auch nicht seine Restriktivität, sondern die Tatsache, daß es undurchdacht, widersprüchlich und wirklichkeitsfern war. Mann gibt Frau Adresse eines abtreibungswilligen Arztes – zwei Jahre Gefängnis. Reisebüro veranstaltet Kurzreise nach Königsberg, Zeitungsannonce: „volle gynäkologische Betreuung“ – Verfahren wird nicht einmal eröffnet. Kinder können nach der Geburt von ihren Müttern Entschädigungen für Schäden aus der Schwangerschaft eintreiben. Alles Regelungen des alten Gesetzes, die auch die jetzige Novellierung nicht abgeschafft hat. Das Parlament hat nur die soziale Indikation eingeführt. Nun ist sogar noch ein gefährlicher Unsinn mehr dazugekommen: Gegen den Protest des sozialdemokratischen Gesundheitsministers verabschiedeten die Abgeordneten eine Regelung, derzufolge künftig Abtreibungen auch wieder in Privatpraxen vorgenommen werden dürfen. In Polen kann jeder eine solche Praxis eröffne, er muß dazu nicht einmal Medizin studiert haben. In der Praxis läuft das auf eine Einladung für Kurpfuscher hinaus: Sie garantieren völlige Diskretion, Niedrigstpreise und ein garantiert unvergeßliches Erlebnis.

Immerhin: Frauen finden jetzt etwas leichter einen Arzt, der ihnen hilft, und er ist auch billiger. Abtreibung droht wieder weithin zum Ersatz-Verhütungsmittel zu werden – mit all den Folgen, die das für die Gesundheit hat. Jene Bestimmungen des alten Gesetzes, die die Behörden zu verstärkter Aufklärung verpflichten, blieben von Anfang an Makulatur. Die Folge ist, daß nahezu jeder in Polen inzwischen die negativen Folgen des Abtreibungsgesetzes und die Argumente von Lebensschützern und Feministinnen herbeten kann, aber fast niemand sich der möglichen gesundheitlichen Folgen einer Abtreibung bewußt ist – besonders auf dem Land.

Auf Frauen und Ärzten lastet weiterhin der Druck der konservativen Standesorganisation, der örtlichen Pfarrer und Lebensschützer und die Angst, ja nicht negativ aufzufallen. Ob abgetrieben wird, entscheiden in Polen nicht die Politiker, sondern die Familie, der Pfarrer, der Ehemann, der Arzt und vor allem die Umstände, die aber haben sich bisher noch immer als immun gegen Parlamentsbeschlüsse erwiesen.

Die Abtreibungsdebatte zeigt es einmal mehr: Polens Problem ist nicht der angeblich übermächtige Einfluß der Kirche, sondern der allgegenwärtige Mangel an Rückgrat. Wenn der Primas niest, kriegt das halbe Parlament einen Schnupfen, wenn Walesas Pressesprecher das TV-Programm nicht gefällt, rollen im Fernsehen die Köpfe. Auch die Sozialdemokraten, die sich mit ihrer Abtreibungsnovelle so heldenhaft der unbesiegbaren Dampfwalze Kirche entgegengestellt haben, machen da keine Ausnahme: Es war die Regierung Rakowski, die 1989 in den letzten Zügen liegend ein in der polnischen Geschichte beispielloses Gesetz verabschiedete, das der katholischen Kirche unter Ausschluß des Gerichtswegs noch selbst solche Besitztümer übereignete, die diese zu zaristischen Zeiten verloren hatte. Hier liegt der wahre Schlüssel zu Macht und Einfluß der Kirche, nicht in verquasten Abtreibungspredigten, die sich nur noch die zu Herzen nehmen, die es nicht mehr betrifft. Klaus Bachmann

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