piwik no script img

■ Polens Dissidenten bekämpfen ihr einstiges SymbolSo einsam war Walesa noch nie

Fünf Jahre nachdem Polens demokratische Opposition mit Walesa den friedlichen Übergang von der kommunistischen Diktatur zur Demokratie erkämpfte, verurteilt sie den Präsidenten in einer Parlamentsresolution zusammen mit den ehemaligen Kommunisten wegen „Destabilisierung der Verfassungsordnung“. Anders ausgedrückt: Die Intellektuellen, Bürgerrechtler, Dissidenten von einst sehen in Walesa heute eine größere Gefahr für die Demokratie als in den Nachfolgern der Kommunisten. Mehr noch: Sie sind bereit, mit den Exkommunisten zusammen Polens Demokratie gegen Walesa zu verteidigen. Für Polen bedeutet das eine geradezu richtungsweisende Entscheidung: ein dauerhaftes Bündnis – zum Beispiel bei den Präsidentschaftswahlen im nächsten Jahr – zwischen „Freiheitsunion“ und Exkommunisten ist damit wahrscheinlicher geworden als eine Frontstellung von Antikommunisten und Exkommunisten. Vielleicht werden beide zusammen einen gemeinsamen Kandidaten aufstellen. Jacek Kuron, linker Flügelmann der „Freiheitsunion“ und geschätzter Bundesgenosse der Exkommunisten, wird schon jetzt von Teilen der Freiheitsunion als Kandidat lanciert.

Die Trennung zwischen Exkommunisten und Antikommunisten, zwischen Verfolgern und Verfolgten, halten ohnehin viele der ehemaligen Dissidenten liberaler und linker Provenienz für anachronistisch. Für Walesa bedeutet das, daß seine Aussichten, im nächsten Jahr wiedergewählt zu werden, weiter schwinden. Als potentieller Rückhalt bleiben ihm die untereinander zerstrittenen, außerparlamentarischen Rechtsparteien, sein winziger, ebenfalls zerfallender „Reformblock“, eine kleine Gruppe grenzenloser Zyniker als Berater und vielleicht die Kirche, die in ihm das letzte nationalkatholische Bollwerk gegen den Ansturm des westlichen Hedonismus sehen mag. So einsam war Walesa noch nie.

Walesas früherer Vertrauter, Verteidigungsminister Kolodziejczyk, war es, der seinen Präsidenten in dieses Fiasko hineinmanövriert hat. Doch Walesa selbst hat es ihm leicht gemacht: Vom Anfang seiner Präsidentur an intrigierte er in der Armee und den Sicherheitsdiensten und versuchte mit allen, auch rechtlich zweifelhaften Mitteln, seine Macht auszudehnen. Ganz so, als habe er von Anfang an geahnt, daß es schwer werden würde, die Macht mit demokratischen Mitteln zu halten. Daß er zu undemokratischen Mitteln Zuflucht nimmt, ist auch jetzt nicht ausgeschlossen. Seine Drohung mit der „Jelzin-Variante“, also einer verfassungswidrigen Auflösung des Parlaments, dürfte vielen Abgeordneten noch in den Ohren klingen. Wer hätte gedacht, daß Polens Demokratie einmal vor ihrem Symbol würde geschützt werden müssen? Klaus Bachmann, Warschau

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen