piwik no script img

PolenSieben fette Wirtschaftsjahre

Polen ist Spitzenreiter unter den neuen EU-Mitgliedsländern: Ausländische Investitionen fließen reichlich, ebenso Strukturgelder aus Brüssel. Doch Arbeitslosigkeit und Emigration bleiben hoch.

"Kommt nach Breslau! Hier gibt es Arbeit und gutes Geld!" Bild: dpa

WARSCHAU taz "Polens Wirtschaft wächst!", "Sieben fette Jahre vor Polen" und "Polens Konjunktur legt den fünften Gang ein". Seit dem Beitritt Polens zur EU im Mai 2004 geht es mit der Wirtschaft des Landes bergauf: Die Nachfrage aus dem In- und Ausland steigt, die EU pumpt jedes Jahr Milliarden an Strukturgeldern in das Land, ausländische Investoren finden den polnischen Markt immer attraktiver, die Warschauer Börse meldet Rekorde. Die heimische Währung - der Zloty - trumpft gegenüber Dollar und Euro auf, die Gewinne der Unternehmer steigen und auch die Arbeitnehmer verfügen über ein höheres Realeinkommen.

Ähnlich sieht die Situation in den anderen sieben Staaten Mittel- und Osteuropas aus, die 2004 der EU beitraten. Die Aufholjagd gegenüber den Volkswirtschaften der EU-15 ist auch deshalb so erfolgreich, weil im Westen die Konjunktur nach Reformstau und jahrelanger Flaute ebenfalls wieder angesprungen ist. Polen ist jedoch Spitzenreiter, wenn es um ausländische Direktinvestitionen und die Strukturgelder aus Brüssel geht. Unternehmer aus Europa, den USA und Asien investierten 2006 laut Polnischer Nationalbank die Rekordsumme von 11,1 Milliarden Euro. Die bisherigen Höchstwerte lagen bei 10,3 Milliarden in den Jahren 2000 und 2004. Für das laufende Jahr erwartet das Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche gar noch eine Steigerung auf 12 Milliarden Euro. Insgesamt sind seit der politischen Wende 1989 etwa 90 Milliarden Euro an ausländischen Direktinvestitionen ins Land geflossen. Dagegen entfielen auf Ungarn und Tschechien, die in den ersten Transformationsjahren zu den Lieblingen der Investoren gehörten, 62 Milliarden bzw. 59 Milliarden Euro.

Die wichtigsten Investorenländer für Polen sind bis heute die Niederlande, Frankreich und Deutschland, dicht gefolgt von Belgien und Luxemburg, den USA, Österreich und Italien. Die Schweiz steht mit einer akkumulierten Investitionssumme von 1,7 Milliarden Euro an elfter Stelle der großen Direktinvestoren. Seit 2006 spielen Länder aus dem Fernen Osten eine immer wichtigere Rolle unter den Investoren, allen voran Japan, dessen Firmen Sharp, Bridgestone, Toyota oder Toshiba knapp 1 Milliarde Euro in Polen investierten.

Während sich das Interesse der ausländischen Unternehmen zunächst auf personalintensive Branchen richtete wie die Auto-, Chemie und Elektroindustrie, sind es seit rund zwei Jahren vermehrt Dienstleistungen, Hochtechnologie und Produktentwicklungen, die nach Polen verlagert werden. Die attraktivsten Städte sind nach der Hauptstadt Warschau die niederschlesische Metropole Breslau, die Kultur- und Hochtechnologiestadt Krakau, die traditionelle Messestadt Posen, die Tuch- und Modestadt Lódz und die beiden Hafenstädte Stettin und Danzig.

Einen noch stärkeren Einfluss auf die Umstrukturierung der mittel- und osteuropäischen Volkswirtschaften haben die EU-Strukturgelder. Sie fließen zum großen Teil in die Infrastruktur, in den Ausbau des Straßen- und Schienennetzes, in Kläranlagen und ökologische Projekte. Gefördert wird auch die Landwirtschaft sowie kleine und mittlere Unternehmen. Aber auch Bildung und Forschung, Tourismus und Kultur kommen nicht zu kurz. Polen ist Spitzenreiter unter den Empfängerländern. In der EU-Finanzperiode von 2007 bis 2013 wird Polen mit fast 60 Milliarden Euro den Löwenanteil von insgesamt 231,7 Milliarden Strukturgeldern erhalten. An zweiter Stelle liegt Spanien mit 31,5 Milliarden Euro und an dritter Italien mit 25,7 Milliarden Euro. Die positiven Auswirkungen dieses gewaltigen Geldzuflusses sind fast im ganzen Land zu spüren. Nur drei Jahre nach dem EU-Beitritt sind heute 85 Prozent der Polen zufrieden mit der Mitgliedschaft in der Europäischen Union. Nur 7 Prozent der Bevölkerung Polens stehen der EU negativ gegenüber.

Ein Problem ist aber die nach wie vor hohe Arbeitslosigkeit. Zwar ist die Arbeitslosenquote in den letzten Jahren stark gefallen, doch mit heute 13 Prozent liegt sie immer noch weit über dem Durchschnitt der 15 Altmitglieder der EU. Gesunken ist die Zahl der Arbeitslosen nicht nur in Folge der Investitionen ausländischer Unternehmer sowie der EU-Strukturmittel, sondern auch durch eine massenhafte Emigration. Dies führt nun wieder dazu, dass in einzelnen Branchen wie auf dem Bausektor oder im medizinischen Bereich Fachkräfte fehlen. So wirbt der Oberbürgermeister einer der Städte Polens, die sich am dynamischsten entwickeln, auf großen Plakaten in Großbritannien und Irland: "Kommt nach Breslau! Hier gibt es Arbeit und gutes Geld!"

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

2 Kommentare

 / 
  • MK
    Martina Kämpfe

    Den Kommentar von gestern kann ich nicht verstehen. Die Veränderungen gerade am Arbeitsmarkt sind evident. Zwar sind die strukturellen Ursachen der hohen Arbeitslosigkeit (geringe Mobilität, niedriges Ausbildungsniveau, hohe Lohnnebenkosten, institutionelle Mängel) noch vorhanden, aber seit 2000 sind die Arbeitsmarktregulierungen deutlich zurückgegangen, der Markt ist elastisch. Der Rückgang der AL um etwa 7 Prozentpunkte seit 2002 hat unterschiedl. Ursachen, vor allem der Beschäftigungsaufbau ist aber erfolgreich und hängt mit der guten wirtschaftl. Lage zusammen. Schwarzarbeit ist wieder ein ganz anderes Kapitel, hat mit den im Arikel genannten Dingen nichts zu tun. Die Migration ist nicht überzubewerten.

  • NF
    Nils Franke

    Den Arbeitslosenzahlen in Polen sollte man keinen Glauben schenken. Zwar wird nur fuer 6 Monate ein geringes Arbeitslosengeld gezahlt, der Versicherungsschutz bei der Staatlichen Krankenversicherung ZUS besteht aber weiter. Viele der offiziell Arbeitslosen arbeiten im In- oder Ausland schwarz und sind durch die Meldung beim Arbeitsamt krankenversichert. Auf Grund der europaeischen Sozialabkommen, leistet diese Krankenversicherung auch im Ausland.