Polen und der entwaffnende Charme der EU-Integration: Die Angst hinter dem Machtspiel
Nicolas Sarkoyz wirbt in Polen für das Konzept der "doppelten Mehrheit" - vielleicht überzeugt die deutsch-französische Erfolgsgeschichte.
D ie polnischen Kaczynski-Brüder arbeiten hart daran, Angela Merkel den Gipfelerfolg zu vermiesen. Doch hinter dem Machtspiel stehen reale polnische Ängste. Der neue französische Präsident Nicolas Sarkozy ist nach Warschau gereist, um für das Konzept der "doppelten Mehrheit" zu werben, das vor nicht allzu langer Zeit von den Franzosen ebenfalls abgelehnt wurde. Es ist Teil der Vertragsreform und besagt, dass Mehrheitsentscheidungen im Rat nur zustande kommen, wenn eine Mehrheit der Staaten zustimmt, hinter der gleichzeitig die Mehrheit der Bevölkerung steht. Ohne die kleinen Länder geht nichts, da jedes Land eine Stimme hat. Ohne die großen Länder geht aber ob ihrer Bevölkerungsstärke auch nichts.
Dieses Konzept war schon im Jahr 2000 bei den Verhandlungen zum Nizzavertrag favorisiert worden, weil es dem Europa der Nationen, das zugleich ein Europa der Bürger sein soll, entspricht. Es scheiterte an der französischen Ratspräsidentschaft. Jacques Chirac traute sich zu Hause nicht zu verkünden, das wiedervereinigte Deutschland sei Frankreich über den Kopf gewachsen. Heute ist es für die Franzosen kein großes Thema mehr, dass Deutschland der bevölkerungsreichste Staat der Union ist und damit das größte Abstimmungsgewicht erhält. Die doppelte Mehrheit ist so konstruiert, dass jedes Land viele Verbündete braucht, um sich im Rat durchzusetzen. Sie gewährleistet damit genau die institutionelle Einbindung des größten und einst gefürchteten Nachbarn Deutschland, die viele kleinere EU-Mitgliedsländer schätzen.
Seit fünfzig Jahren erlebt Frankreich, dass das Konzept funktioniert. Dennoch ließ es vor knapp sieben Jahren die doppelte Mehrheit platzen und bestand auf einer gleichen Stimmengewichtung im Rat wie Deutschland. Sicher wird Polen schneller zu mehr Gelassenheit gelangen - eine handlungsfähige EU ist im Sinne des größten Nettoempfängers. Vielleicht wird Sarkozy in Warschau mit der deutsch-französischen Erfolgsstory werben - und den Kaczynskis klarmachen, dass es nichts Entwaffnenderes gibt als die europäische Integration.
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