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Polen fördert die Marktwirtschaft

■ Staatsunternehmen sollen Anteile verkaufen / Joint Ventures als Bonbon für Ausländer / Künftig gibt es auch die Möglichkeit eines Konkurses für unrentable Betriebe / Regierung kann ihre Preispolitik ohne größeren Widerstand der Gewerkschaft durchsetzen

Berlin (afp/ap/taz) - Aktien für in Staatsregie geführte Unternehmen, Wertpapiermarkt, Förderung von privaten Investitionen und die Gründung von Tochterunternehmen ausländischer Firmen gemeinsam mit polnischen Betrieben, so lauten die Kernpunkte der in Polen geplanten Wirtschaftsreform, die am Montag abend in Stockholm von Regierungssprecher Jerzy Urban der Presse bekanntgegeben wurden. In einem Interview mit der schwedischen Nachrichtenagentur TT sagte Urban, daß künftig unrentable Unternehmen Konkurs anmelden und geschlossen werden können. In Kürze würden sieben Staatsbetriebe ihre Produktion einstellen, da die Regierung sich seit einem Beschluß im letzten Jahr weigert, für deren Verluste aufzukommen. Für die gesamte Industrie sollen die Subventionen um 15 Prozent abgebaut werden. Die Regierung werde die Gründung von privaten Firmen unterstützen und im Rahmen des in den nächsten Wochen zu erwartenden Reformpakets die „ Entwicklung von Privatinitiativen in Konkurrenz zu den staatlichen Unternehmen“ anstreben. „Wir sind dabei, im Rahmen der sozialistischen Ökonomie etwas mehr Marktwirtschaft einzuführen“, interpretierte der Sprecher der polnischen Botschaft Jacek Bora in Stock holm gegenüber der Nachrichtenagentur ap die polnische Wirtschaftsreform. Doch werde es auch zu Schwierigkeiten kommen. „Das sozialistische System hat Gewohnheiten entwickelt, die nur schwer geändert werden können, beispielweise, daß es keine Unterschiede bei den Entlohnungssätzen geben soll und daß der Lohn die grundlegenden Bedürfnisse decken müsse,“ fügte Urban hinzu. Daß die polnische Regierung bei ihrer Wirtschaftsreform mit dem Widerstand der Arbeiter rechnen muß, zeigte sich schon bei den verfügten Preiserhöhungen für subventionierte Lebensmittel sowie im Energie– und Transportsektor. Die Proteste führten zwar nicht zu einer neuen Streikbewegung, doch wurde Unmut auch innerhalb der offiziellen Gewerkschaften und bei den Betriebsräten laut. Man werde zu allen legalen Protestaktionen greifen, die zur Verfügung stehen, wenn die Regierung bei der Steigerungsrate von 14 Prozent bleibe (die Opposition errechnete Preiserhöhungen von über 20 Prozent), tönte Anfang März die Gewerkschaftsspitze. Doch gab sie klein bei, als ihr die Regierung vorrechnete, daß im letzten Jahr die Löhne schneller als die Preise gestiegen wären. Trotz eines Aufrufs von Lech Walesa am 29. März, durch Protestaktionen reale Reformen zu erreichen, konnte die Regierung ihre Preispolitik im wesentlichen unbeschadet durchsetzen. Und so war es für Regierungssprecher Urban in Stockholm ein leichtes, die Solidarnoscführer als „Propagandisten“ zu bezeichnen, „die Preisstabilität, Gehaltserhöhungen und den Abbau von Subventionen zugleich fordern“. Die Reformprojekte der Regierung zielen in eine Richtung, die sich, was den ökonomischen Bereich angeht, von den Forderungen vieler Oppositioneller kaum unterscheiden. Die Untergrundgewerkschaft Solidarnosc allerdings wird weiterhin die „Zulassung unabhängiger Gewerkschaften“ fordern und damit die politische Liberalisierung des Systems. Da die geplante Reform vor allem zu Lasten der Arbeiter geht, könnte die Regierung schon bald gezwungen sein, ernsthafte Gespräche mit der Opposition zu suchen.

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