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Polen: „Wahlkampf“ der Regierung

■ Bei der Regierungsbildung wurden 16 Ministerien aufgelöst / Schlüsselposten bleiben unverändert / Planungschef Sadowski wirbt bei der Bevölkerung für Wirtschaftsreformen

Warschau (afp) - In Polen hat der „Wahlkampf“ begonnen. Nur wenige Stunden nach der umfassenden Kabinettsumbildung in Polen hat sich der neue „starke Mann“ in Wirtschaftsfragen, Zdzislaw Sadowski, im Fernsehen zu den geplanten Reformen zu Wort gemeldet. Sein Auftritt am Samstag abend wurde als weiterer Schritt der Regierung gewertet, die Bürger vor dem Referendum über die einschneidenden Wirtschaftsreformen Ende November von der Notwendigkeit dieser Veränderungen zu überzeugen. Sadowski, der als einer der Väter der Reformen gilt, erklärte den Polen, daß die geplanten Preiserhöhungen bei den Verbrauchsgütern „unausweichlich“ seien. Sie würden aber gleichzeitig durch eine Erhöhung der Löhne und der sozialen Leistungen aufgefangen, versicherte Sadowski. Die Preise würden im übrigen nicht vor 1988 erhöht, beruhigte Sadowski. Der parteilose Vize–Ministerpräsident Sadowski war am Samstag im Rahmen der umfassenden Kabinettsumbildung zum neuen Vorsitzenden der einflußreichen Planungskommission - dem Lenkapparat der gesamten polnischen Wirtschaft - ernannt worden. Das neue Kabinett, dem weiterhin Ministerpräsident Zbigniew Messner vorsitzt, umfaßt nur noch 20 Minister statt 26. Messner löste 16 Ministerien auf und gründete acht neue Ressorts. Die Schlüsselposten der Regierung - die Ressorts Äußeres, Verteidigung und Inneres - blieben allerdings unverändert. Die meisten Umbildungen wurden in den wirtschaftspolitisch relevanten Ressorts vorgenommen. Die Regierungsumbildung wird im Zusammenhang mit den geplanten Wirtschaftsreformen gesehen, über die Ende November in einem Referendum abgestimmt wird. Um bei dieser, für polnische Verhältnisse einmaligen, Abstimmung die Unterstützung der Bürger für die Reformen zu erhalten, versucht die Regierung mit zahlreichen Maßnahmen, die Bevölkerung aufzuklären. Die Unwissenheit über die geplanten Reformen ist trotz umfassender Berichte in der polnischen Presse noch sehr groß. Unmittelbar nach Sadowskis Rede über die Reformen riefen zahlreiche Bürger bei dem Fernsehsender an und wollten „mehr darüber wissen“. Viele sind noch skeptisch. Das einzige, was ich weiß, ist, daß wir wieder einmal den Gürtel enger schnallen müssen, meinte eine Hausfrau am Sonntag. Um die Bürger über ihre Reformen richtig zu informieren und sie auf ihre Seite zu bringen, bleibt der Regierung in Warschau nur noch ein guter Monat. Deshalb wird die Regierung nicht müde, immer wieder zu erklären, daß sich die Situation verbessern wird. Umfassende Maßnahmen wurden bereits eingeleitet. So wurde die Bürokratie durchforstet und die Entwicklung des Privatsektors gefördert. In zwei besonders empfindlichen Bereichen, dem Wohnungsbau und dem Gesundheitswesen, deren Situation als katastrophal bezeichnet wurde, will die Regierung entscheidende Verbesserungen durchsetzen. Mit ihrem „Wahlkampf“ bringt die Regierung aber auch gleichzeitig die Opposition in eine unangenehme Lage. Die weiß zur Zeit nicht, wie sie sich verhalten soll. Arbeiterführer Walesa meinte in einem ersten Kommentar, er werde zum Referendum zu Hause bleiben.

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