Point 'n' click: Der digitale Kongreß ...
■ ... tanzt nicht, liest sich aber interaktiv: CD-ROM „Doors of Perception 1“
Die CD-ROM „Doors of Perception 1“ ist die Dokumentation eines gleichnamigen Kongresses, der im Oktober 1993 in Amsterdam stattfand (1994 fortgeführt). Veranstalter waren das Niederländische Design Institut und die Agentur Bilwet, eine Gruppe aus Amsterdam, die sich seit 1983 auch mit Fragen zur Medientheorie beschäftigt. Bilwet ist in Deutschland hauptsächlich durch das etwa vierteljährlich erscheinende Magazin Mediamatic, mehrere Bücher über Medien und deren Nutzung sowie die Vortragsreise mit dem Titel „Der Daten- Dandy“ (Anfang 1994) bekanntgeworden.
In Mediamatic (zweisprachig in Holländisch und Englisch) werden unterschiedliche Aspekte zu einem Schwerpunktthema erörtert. Die Kongreß-CD-ROM ist die Beigabe zum aktuellen Heft mit dem Titel „The Storage mania issue“ – wobei von Beigabe zu sprechen schwerfällt, denn es handelt sich um eine der wirklich interessanten Varianten der Spezies CD- ROM. Anstatt, wie es beispielsweise der Spiegel mit seiner ersten CD machte, alle Texte einfach nur als schlecht lesbare Grafik einzuscannen, geht Mediamatic gleich zwei Schritte weiter und bringt uns eine neue Form, „interaktiv“ an oben erwähntem Kongreß teilzunehmen. Stellen Sie sich folgendes vor: Man kann sich die einzelnen Beiträge vorlesen lassen, dazu die wesentlichen Thesen als Text auf dem Bildschirm ansehen und auch mal eben schnell zur Biographie des Referenten wechseln. Zu den Beiträgen gibt es, nach bester Kongreßtradition, die Möglichkeit, zustimmende und ablehnende Kommentare zu erfragen. Damit nicht genug: Die Reihenfolge der Antworten ist nicht vorgegeben, Sie selbst sind der Talkmaster, bestimmen, wer wann zu Wort kommt. So schön können interaktive Medien sein – auch ohne winzige Zappelbilder, digitales Video genannt.
Der Zugang zu den Informationen erfolgt entweder über die einzelnen Referenten oder die acht Kernthemen der Konferenz: Gesellschaft, Individuum, Politik, Identität, das Buch, neue Medien, die Sinne und der Raum. Da einleuchtenderweise nicht alle Punkte auf einem Bildschirm Platz finden, muß der/die Leser/in einen Weg finden, sich die Daten zu erschließen. Zum point und click kommt hier noch das move, was anfangs ungewöhnlich ist, dann aber sehr „intuitive“ Zugänge zum Material ermöglicht. Mich erinnerte es an einen runden Tisch, um den man geht und in die einzelnen Themen hineinhorcht. Als Einstieg in den Diskurs empfiehlt es sich, zuerst einmal die Referenten kennenzulernen.
Nach der Auswahl eines Themas erscheint zuerst die Kernaussage, die zugleich noch vorgelesen wird. Statt nun auf irgendwelche „Yes“, „No“, „Keine Ahnung“-Buttons zu klicken, gilt es, durch die Bewegung der Maus ein Gesicht auf dem unteren Bildrand nach links oder rechts zu schieben. Dabei verändert sich der Gesichtsausdruck – von fröhlichem Lachen mit einer 1 für das digitale Ja zur wütenden Grimasse mit der 0, der binären Ablehnung. In dieser Bandbreite sind dann die zugeordneten Statements aufrufbar. Auch sie werden wieder vorgelesen und als Text angezeigt.
Der Begriff „Interaktivität“ hat schon für (zu) vieles herhalten müssen, aber lineares Lesen ist das nicht mehr. Die Grenze zwischen „Autor“ und „Leser“ wird durchlässig – was nicht nur Form, sondern zugleich auch Gegenstand der Lektüre ist. Der digitale Kongreß dreht sich unter anderem um ethische und kulturelle Fragen des aufkommenden „Information Highway“, die Rolle von Design beim Übergang von Information zu Wissen. Ganz nebenbei wird eine herzerfrischende Definition von „Multimedia“ gegeben: „3 boxes on your table, so there is no room to work“.
Sicher gibt die Struktur von „Doors of Perception“ selbst auch Anlaß zur Diskussion. Denn so interessant die eigene Zusammenstellung von Diskussionsteilen ist, so sehr erlaubt sie auch, alles mit allem zu „beliebigen“ Komplexen zusammenzumixen. Und trotzdem rüttelt diese CD frei nach Huxley ein wenig an den Pforten der Wahrnehmung. Und wer nachher immer noch Lust auf „lineares“ Lesen hat, findet die zirka 500 Seiten Text der Vorträge auch als Textdateien im MS-Word- Format. Wer aber schon über einen digitalen Weg zur Info-Autobahn verfügt, der kann sich die Informationen zur 94er Konferenz im Internet ansehen. Point to: HTTP:/WWW. MOL. NL and klick. Frank Bitzer
„Mediamatik 8“. Etwa 30 DM, zu beziehen über Mediamatic C.C.R.I. 11084, 1000 PB Amsterdam, Tel.: 0031/20/638 11 20.
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