Point 'n' click: Der Computer als Radio
■ Radioprogramme mit Orson Welles auf CD-ROM
„Good evening! This is Orson Welles!“ Der amerikanische Filmkritiker Andrew Sarris hat geschrieben, daß kleine Jungs, die (wie er) Ende der dreißiger, Anfang der vierziger Jahre in den USA aufgewachsen sind, die Stimme von Orson Welles wahrscheinlich schon oft gehört hatten, bevor sie ihn zum ersten Mal auf der Kinoleinwand sahen. Denn Welles hat seit 1934 in New York zahllose Radiohörspiele gesprochen und auch inszeniert, bevor er 1942 nach Hollywood übersiedelte.
Eine Auswahl seiner Radioarbeit aus dieser Zeit hat die amerikanische Multimedia-Firma Voyager jetzt auf der CD-ROM „Theatre of Imagination“ veröffentlicht. In der Garage des Schauspielers Dick Wilson war eine Kiste alter Azetat-Platten mit Welles' Radioarbeiten aufgetaucht, auf denen vor der Erfindung des Magnetbandes Hörspiele aufgenommen wurden.
Was zunächst etwas abwegig wirkt – der Computer als Radio? – erweist sich bei dieser liebevoll gemachten Produktion als gute Idee: Die fünf Stunden Audio- Material auf dieser CD-ROM hätten locker mehrere Cassetten gefüllt. Und wer schlecht Englisch versteht, kann die Drehbücher der Hörspiele mitlesen. Ansonsten schaltet man am besten den Computermonitor aus, wenn man ein Hörstück ausgesucht hat, und schließt dann die Augen.
Neben Stoffen, mit denen Welles sich auch als Filmregisseur wieder beschäftigt hat (zum Beispiel „Hamlet“ oder „Herz der Finsternis“) findet man auch rare Schätzchen auf dieser CD- ROM. Mit schwellendem Pathos trägt Welles etwa das Hohelied Salomons vor, und in einem Radiointerview von 1944 überhäufen sich Welles und H. G. Wells gegenseitig mit viktorianischen Komplimenten.
Welles' berühmteste Radioproduktion ist auf „Theatre of Imagination“ allerdings nicht enthalten: Seine Hörspielfassung von H. G. Wells' „Krieg der Welten“, die zu Halloween 1938 in den USA eine Massenpanik auslöste, fehlt. Dafür findet man eine Episode aus der legendären „Shadow“-Serie, deren berühmtes Intro mit Welles' diabolischem Lachen auch in Woody Allens' „Radiodays“ vorkommt: „Who knows what evil lurks in the hearts of men? The Shadow knows! Hehehe!“
Orson Welles begann damit, daß NBC 1934 Nachrichten in Hörspielform verbreiten wollte. Welles sollte Hitler und Mussolini sprechen. Die Sendereihe hieß „The March of Times“ (wie die Wochenschau zu Beginn von „Citizen Kane“), aber schon nach einem Jahr wechselte er mit dem gesamten Stab zur Konkurrenz CBS (wie die Redaktion des Chronicle, die zu Kanes Inquirer übertritt). Zur selben Zeit inszenierte und spielte er am Broadway. An manchen Abenden soll er noch in Maske und Kostüm von einer Ambulanz mit Blaulicht vom Künstlerausgang des Theaters zum CBS-Studio gefahren worden sein. Auch von ihm verehrte Schauspieler seines „Mercury Theatres“ sind zu hören: Agnes Moorehead, Joseph Cotton, Everett Sloane und andere.
Kritiker wie James Naremore haben auf die Bedeutung von Welles' Radioarbeit auf seine Filme hingewiesen (man denke nur an die Verfolgungsjagd in „Touch of Evil“, in der Charlton Heston per Funk Welles auf der Spur bleibt!). „Theatre of Imagination“ bietet eine gute Zusammenstellung von Hörspielen von und mit Welles, die sicher noch oft im CD-ROM-Laufwerk meines Rechners landen wird. So einen begnadeten Geschichtenerzähler wie Orson Welles hat man nämlich nicht oft im Arbeitsspeicher seines Computers. Tilman Baumgärtel
„Theatre of Imagination“. Radio Stories by Orson Welles and The Mercury Theatre, für Windows-PC, Mac, Voyager, 69 DM
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