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Point 'n' clicParanoides Parallelwelt-Amerika

■ Dr. Horselove und die Umtriebe von Endzeitsekten: Computerspiel „Gadget“

Das Ende der Zivilisation, wie wir sie kennen: Filme, in denen mutierte Rieseninsekten, tentakelbewehrte Außerirdische, aus der Bahn geworfene Asteroiden die Erde bedrohen. Das Schlußbild: ein geflutetes New York, zwischen den aus den Wellenbergen ragenden Wolkenkratzerspitzen treiben havarierte Ozeandampfer ...

When Worlds Collide: „Gadget“, das neuste Computerspiel des japanischen Game-Designers Haruhiko Shono, bietet ebenfalls beste B-Picture-Endzeitstimmung. Ein Komet rast auf die Erde zu. Der ominöse Wissenschaftler Horselover behauptet, die Katastrophe in letzter Minute noch abwenden zu können. Selbstredend bist du dazu auserkoren, ihm bei seinem überlebenswichtigen Experiment zur Hand zu gehen. Mit Botengängen beauftragt, hetzt du kreuz und quer über ein im nostalgischen Chic der dreißiger Jahre erstrahlendes Parallelwelt-Amerika, ergötzt dich an den Art-deco-Interieurs von Hotelzimmern, bewunderst die imposanten Stahl- Glas-Konstruktionen diverser Bahnhofshallen, Museen und Planetarien. Die schrittweise weitergeschalteten Graphiken erinnern unmittelbar an die fotorealistischen Gemälde eines Edward Hopper: in glänzende Farben getauchte, von kaltem Licht durchflutete, fast menschenleere Räume. Futuristische Transportmittel – tropfenförmige Autos, mottenähnliche Flugzeuge, flossenbestückte Monorails und vor allem aerodynamisch verkleidete Eisenbahnen – stehen im Zentrum von „Gadget“; ein innovativer Fuhrpark, der wirkt, als habe man ihn unmittelbar aus Kintopp-Utopien wie Fritz Langs „Metropolis“ oder William C. Menzies „Things To Come“ importiert – wenn er nicht teilweise Technikgeschichte wäre.

So werden im Spiel zwei der legendären amerikanischen Stromliniendampfloks zu neuem Leben erweckt: die von Henry Dreyfuss 1936 entworfene vage an einen in die Länge gezogenen antiken Helm erinnernde Mercury-Lok und die 1939 von Raymond Loewy designte S-1, die sich am besten als eine einzige angeberische Erektion in schwarzglänzendem Stahl und blitzendem Chrom beschreiben ließe. Diese Ikonen des technischen Fortschritts von einst lassen sich in eingestreuten Filmsequenzen voller atemberaubender Zooms und halsbrecherischer Schwenks in voller Aktion bewundern.

„Gadget“ schwelgt in den suggestiven Formen einer „Retro- Future World“ (Klappentext), verknüpft diese mit einem Ambiente aus Paranoia, Ambiguität, latenter Verschwörung. So begegnen dir im Spielverlauf Leute, die die angeblich vor der Haustür stehende Kometencrash-Apokalypse als inszenierten Schwindel abtun. Andere behaupten, Horselover arbeite mit seinen Adepten, die er mittels Hirnwaschmethoden manipuliert habe, an Apparaturen, deren Sinn und Zweck nicht klar sei.

Du weißt nicht, wem du was glauben sollst, zumal du immer wieder von bizarren mystischen Visionen heimgesucht wirst: Auf einem Monitor siehst du einen Filmausschnitt, der zeigt, wie der Zug, mit dem du gerade fährst, in das Licht eines abstürzenden Meteoriten rast. Und was zum Henker hat dieser seltsame Junge zu bedeuten, der dauernd deine Pfade kreuzt, ganz am Anfang im Hotellift wortlos deinen Koffer mit einem identischen voller geheimnisvollem Equipment vertauscht?

Das Gefühl panischer Beklemmung wird zudem durch zwischengeschaltete Animationsschnipsel geschürt, in denen du in Augenperspektive, untermalt von hämmerndem Industrial- Soundtrack, durch Unterführungen oder über Treppen hetzt. Irrsinnige Kamerafahrten wie in Sam-Raimi-Horrorfilmen. Irgendwann stolperst du über eine „Sensorama“ genannte Maschine, deren Wirkungsweise dir von Horselovers Assistenten so erklärt wird: „It was developed to make persons at war tell all. We've reworked it so that we can use it as a machine that draws out latent powers ...“

Ein finales Betätigungsfeld für die Ingenieure einer „stromlinienförmigen Gesellschaft“ wird hier angedeutet: Es gilt, die disparaten Erinnerungskörper selber in windschnittiges Ebenmaß zu überführen, auf Grundlage einer Datenbank, in der alle menschliche Individualität übersichtlich rubriziert ist, den perfekten Übermenschen zu designen.

Die Anspielung auf die Umtriebe gewisser pseudowissenschaftlicher Endzeitsekten ist augenfällig. Streckenweise wirkt „Gadget“ wie ein Horrortrip durch deren materialisierten Weltanschauungskosmos. Perfiderweise gibt es keine Möglichkeit für den Spieler, sich dem Sog von Realitätsverlust, dem erzeugten Verschwörungsterror zu entziehen.

„Gadget“ wäre das perfekte Computer-Adventure, hätte es nicht ein gravierendes Manko: Es besitzt kein ordentliches Puzzle- Design. Genre-Freaks kommen nicht auf ihre Kosten, alles geht auf Mausklick weiter, die Rätsel beschränken sich auf das Umlegen einiger Hebel oder das Befragen herumlungernder Figuren. Auch ein Anfänger hat „Gadget“ in vier, fünf Stunden komplett durchgespielt. Andererseits paßt die rudimentärste Interaktion durchaus zur Story: Es ist, als würde deterministische Ausweglosigkeit jedes Point und jedes Clic regieren. Ulrich Hölzer

„Gadget“ (Synergy) – CD-ROM für MS-Windows 3.1 (mind. 486er/33 MHz mit 8 MB RAM, SVGA, Soundkarte); Preis: etwa 120 DM

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