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Podiumsdiskussion im tazcaféDie Zukunft der Gipfelproteste

Kommentar von Ralf Hutter

Im Berliner tazcafé wurde am Dienstag wieder diskutiert. Thema war diesmal die Bedeutung von polizeilicher Repression für Gipfelproteste.

Der G8-Gipfel in Genua 2001: Wie weit dürfen Polizisten bei Demonstrationen gehen? Bild: dpa

A m Dienstagabend referierte Matthias Monroy über die kooperative Präventionsarbeit der europäischen Polizeien bezüglich Großereignissen wie Gipfelprotesten. Am Mittag hatte er noch selbst im Tränengasnebel der französischen Polizei gestanden, die zusammen mit Einheiten aus über einem Dutzend Ländern einen Angriff aus einer Demonstration heraus abwehren musste. Glücklicherweise handelte es sich dabei jedoch nur um eine Übung auf Deutschlands größtem für derartige Zwecke existierenden Gelände in Lehnin bei Potsdam, die sich der Journalist anschauen durfte.

Doch auch der Ernstfall ist Monroy nicht fremd. Wie er am Dienstag bei der Veranstaltung "Gipfelspektakel. Von Genua bis Kopenhagen – Proteste zwischen Ritual und Repression" im Berliner tazcafé bekannte, waren die berühmt-berüchtigten Proteste gegen den G8-Gipfel in Genua von 2001 sein Einstieg in die Beschäftigung mit Repressionsfragen. In den letzten Jahren wurde er zum Spezialisten für die Themen Polizeiaufrüstung und Staaten übergreifende Polizeikooperation. Von Monroy wurde deshalb ein substanzieller, faktenreicher Vortrag erwartet.

Während die zu den Gipfelprotesten von Genua, Straßburg (gegen die NATO-Geburtstagsfeierlichkeiten im April 2009) und Kopenhagen (UNO-Klimagipfel im Dezember) Sprechenden nichts Neues vortrugen, führte Monroy in einem zitate- und kenntnisreichen Vortrag in das EU-Forschungsprogramm EU-SEC ein, das nach den Protesten gegen den Weltwährungsfonds (IWF) in Göteborg von 2001 aufgelegt worden sei.

Unter Leitung der UNO-Institution UNICRI erforschen mehrere europäische Polizei-Institutionen, wie die „Sicherheit während Großereignissen in Europa“ gewährleistet werden kann. Entstanden sei so unter anderem ein Handbuch zur Kontrolle von Menschenmengen – und die Devise, es doch mal mit einer hohen Zahl von Anklagen, also einer breiten Kriminalisierung, zu versuchen.

Letzteres dürfte aber von einer anderen Tendenz erschwert werden: Bei Gipfelprotesten scheint es sich einzuspielen, innerhalb weniger Tage eine vierstellige Zahl von Menschen präventiv – also bevor sie eine Straftat begehen – in Gewahrsam zu nehmen, wie das Podium beklagte. Erst neulich, am Rande des G20-Gipfels in Toronto war das wieder der Fall. Anklagen werden dabei dann nur gegen eine kleine Minderheit erhoben. Der Rest kommt nach einem (halben) Tag frei, hat aber in den ebenfalls etablierten Käfigen nicht die gleichen Rechte wie Tatverdächtige.

Über diese Präventivmaßnahmen beschwerte sich am heftigsten Tadzio Müller, prominenter Aktivist und in Kopenhagen wegen der Protestorganisation im Rahmen des Bündnisses Climate Justice Action (CJA) festgenommen. Trotzdem rief er zum „kollektiven Regelbruch“ und einem offensiven Umgang mit Repression auf, um die Räume des gesellschaftlich Legitimen (jedoch nicht unbedingt Legalen) zu erweitern.

Wie das mit eben der allerorts zunehmenden handfesten Präventionsarbeit und Einschränkung der Demonstrationsfreiheit seitens der Polizei zusammen geht, wurde leider nicht erörtert. Gerade in Kopenhagen erwiesen sich die Aufrufe zu kollektivem zivilem Ungehorsam als kontraproduktiv, als die Polizei mehrfach schon an den angesetzten Treffpunkten jeweils Hunderte in Gewahrsam nahm. Müller musste sich sogar aus dem Publikum anhören, in Kopenhagen seien auch Menschen „verheizt“ worden, die Einbeziehung breiter Schichten in zivilen Ungehorsam sei mit einer großen Verantwortung verbunden.

Gipfelprotest als Katalysator

Wie also weiter mit Gipfelprotesten, was können sie noch bringen? Hier hatte Monroy eine These parat, die in die von Müller angedeutete Richtung geht: „Gipfelprotest dient der Linken im ausrichtenden Land.“ Er sei also eine Art Katalysator, der Leute aktiviere und somit Schwung in die politische Szene bringe, der sich an anderer Stelle positiv auswirke.

Aus dem Publikum wurde hingegen angemerkt, dass das sowieso eher eine Angelegenheit jüngerer, kinderloser und von absoluter Armut verschonter Menschen sei: "Ein Hartz-IV-Empfänger muss sich abmelden, bevor er zum Gipfel fährt. Und wenn er festgenommen wird, kriegt er zusätzlich Probleme."

Während der Sinn von auch seitens der Protestbewegung inszenierten „Gipfelspektakeln“ also kontrovers diskutiert wurde, gab es keine Gegenstimmen beim Punkt Protestformen: Die Verdammung von Gewaltbereiten seitens anderer Protestgruppen wurde abgelehnt. Wie Valeria Bruschi – Polizeiopfer von Genua und Nebenklägerin in einem der immer noch nicht abgeschlossenen dortigen Gerichtsprozesse –, berichten konnte, habe dieser Diskussionspunkt die italienische kapitalismuskritische Bewegung, die vor den Genua-Protesten stark gewesen sei, gespalten. Dies habe sofort und bis heute verheerende Konsequenzen gehabt.

Ebenfalls einig waren sich alle Sprechenden, dass sich mit Repression schon vorbereitend beschäftigt werden muss. Es treffe nicht nur einschlägig aktive Leute, so die Vertreterin der Straßburg-Soli-Gruppe, die sich nach eigener Auskunft früher auch nicht besonders mit dem Thema beschäftigt hatte. Mittlerweile sei es aber in der Gruppe zu einer weitergehenden Beschäftigung mit der Bedeutung von Gefängnissen generell für unsere Gesellschaft gekommen.

Vertan wurde an diesem Abend leider die Chance, aktuelle Infos zu vermitteln: Wie sieht es mit dem gegen Müller und CJA einst angekündigten Verfahren wegen Verschwörung und Aufruf zur Sachbeschädigung aus? Wie steht es um die Genua-Verfahren, wo einerseits langjährige Haftstrafen im Raum stehen (wegen unter anderem gemeinschaftlicher „Plünderung“ etwa eines Supermarktes), andererseits die meisten überführten Polizisten die Prozesse wohl erfolgreich jenseits der Verjährungsfristen ziehen können? Die Sachkundigen saßen auf dem Podium, wurden aber leider fast nur zur Diskussion abstrakterer oder zukunftsbezogener Fragen herangezogen, wozu die Straßburg-Referentin gar nichts beitrug.

Am Ende wurde eine einfache Anti-Repressionmaßnahme vorgestellt: Die europaweite Kampagne "Reclaim your data" ruft dazu auf, die Menge eigener Daten in Polizeidatenbanken abzufragen und die Daten – so weit möglich – entfernen zu lassen.

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