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Platzt der Mauerprozeß?

■ Verfahren gegen DDR-Generäle wegen Beihilfe zum Totschlag vertagt

Berlin (dpa) – Der erste Prozeß gegen DDR-Generäle wegen der Toten an der Berliner Mauer und der innerdeutschen Grenze droht schon nach dem ersten Verhandlungstag zu platzen.

Die Verteidigung der acht Angeklagten, denen sechs Jahre nach dem Mauerfall Beihilfe zum vollendeten und versuchten Totschlag an DDR-Flüchtlingen vorgeworfen wird, beantragte am Freitag, das Verfahren vorerst zu beenden und es an eine andere Strafkammer des Berliner Landgerichts zu verweisen.

Zur Begründung erklärten die Verteidiger, die jetzt mit der Sache befaßte Kammer sei nicht zuständig und den Angeklagten sei dadurch der „gesetzliche Richter“ entzogen worden. Der Fall sei nach der Anklageerhebung im Jahre 1994 zu Unrecht durch den Geschäftsverteilungsplan des Gerichts der ursprünglich zuständigen, seinerzeit angeblich überlasteten Strafkammer entzogen und der jetzt amtierenden übertragen worden, sagte Anwalt Wolfgang Panka.

Die Kammer vertagte die Sitzung auf kommenden Freitag, weil die Verteidigung bis dahin auch die Benennung der jetzt amtierenden Richter überprüfen will.

Den Beschuldigten im Alter von 65 bis 81 Jahren wird vorgeworfen, den Minister für Nationale Verteidigung der DDR vor Erlaß der Jahresbefehle zur Grenzssicherung beraten zu haben. Darin hieß es, daß „Grenzverletzer zu vernichten“, „Grenzdurchbrüche zu verhindern“ beziehungsweise „nicht zuzulassen“ seien.

Vor der Verhandlung, an der auch der ehemalige DDR-Staats- und Parteichef Egon Krenz teilnahm, erklärte der mitangeklagte frühere stellvertretende DDR- Verteidigungsminister Joachim Goldbach (65): „Wir haben nichts verbrochen“. Der mitbeschuldigte ehemalige Militär-Oberstaatsanwalt Alfred Leibner (73) sagte, er kenne keinen Schießbefehl.

Zu den Beschuldigten zählen ferner die ehemaligen Chefs der für Personal zuständigen Kaderverwaltung im Verteidigungsministerium, Ottmar Pech (81) und Harald Ludwig (65), die früheren Hauptinspektoren der Nationalen Volksarmee, Helmut Borufka (76) und Heinz Handke (68), der Chef der Luftstreitkräfte, Wolfgang Reinhold (72), und der Leiter der Zivilverteidigung der DDR, Fritz Peter (67).

In den bisherigen Prozessen waren die politische Führung der DDR und einzelne Grenzsoldaten sowie ihre unmittelbaren Vorgesetzten verfolgt worden. Der ehemalige DDR-Verteidigungsminister Heinz Keßler war im September 1993 zu siebeneinhalb Jahren Haft verurteilt worden. Gegen die Mitglieder des SED-Politbüros ist inzwischen ebenfalls Anklage erhoben worden.

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