Plattenfirma gibt Trend vor: Mehr Downloads als CDs verkauft
Bei der alteingesessenen Plattenfirma Atlantic überstieg die Anzahl verkaufter Online-Songs erstmals die der CDs. Das Download-Geschäft erwies sich dabei als erstaunlich profitabel.
Es ist ein bedeutender Einschnitt für die Musikindustrie: Die renommierte Plattenfirma Atlantic Records, eine Tochter des Medienriesen Warner, bei der unter anderem Led Zeppelin oder Abba erschienen, vermeldet erstmals, dass die digitalen Musikverkäufe den Absatz physischer CDs überholt haben. Der Meilenstein, der bislang noch keinem anderen großen Label gelang, wurde mit insgesamt 51 Prozent des Gesamtumsatzes erreicht. Die Mutterfirma Warner Music Group vermeldet im Gesamtjahr immerhin 18 Prozent der Gesamtumsätze als über Online-Kanäle vermittelt - macht insgesamt 639 Millionen Dollar.
Die Zahlen von Atlantic bestätigen einen Trend, der sich schon im Frühjahr diesen Jahres ankündigte: Ende März gab der Computer- und Unterhaltungselektronikkonzern Apple bekannt, dass sein Online-Musikladen iTunes in Sachen Musikabsatz den größten amerikanischen CD-Verkäufer, den Supermarkt Wal-Mart, überholt habe, nachdem bereits der E-Commerce-Riese Amazon und die Elektronikkette Best Buy überrundet worden waren. An dieser Hitliste hat sich seither nichts verändert, iTunes steht immer noch ganz oben.
Für Künstler bedeutet der Umschwung aufs Internet nicht immer auch bessere Bedingungen. So werden Downloads aufgrund schlechter Verträge teilweise deutlich weniger lukrativ entlohnt als physische Albumverkäufe. Das dürfte auch einer der Gründe sein, warum Megaseller wie die Beatles oder AC/DC trotz der zunehmend großen Bedeutung des Netzes für den Musikabsatz der Online-Welt noch immer zögerlich begegnen - die britischen Poptitanen sind noch überhaupt nicht auf Musikportalen vertreten, während die australischen Rocker nur auf ganz wenige exklusive Angebote mit für sie extra angepassten Konditionen setzen.
Künstler wie Kid Rock boykottieren derweil bestimmte Download-Plattformen, weil sie sich von diesen über den Tisch gezogen fühlen. Tatsächlich sind Online-Musikverkäufe, wenn sie einmal gut laufen, für Musikfirmen äußerst profitabel: Schließlich müssen sie keine physischen CDs mehr pressen, sie nicht an Plattenläden liefern oder diesen Werbekostenzuschüsse andienen.
Problematisch bleibt allerdings, dass es einigen Bands und Sängern überhaupt nicht schmeckt, dass bei den Download-Plattformen eine Zerfaserung ihrer Musik zu beobachten ist - der Trend geht bei den Nutzern eindeutig zum preiswerteren Herunterladen einzelner Songs, nicht ganzer Platten. Das ist nicht nur weniger lukrativ für Künstler, sondern führt potenziell auch zu einer Bedrohung der Gesamtkunstform Album, die jahrelang die Szenerie beim Musikgenuss beherrschte. So wollten die Indierocker von Radiohead lange nicht bei iTunes mitmachen, weil es dort nicht möglich war, den Download von Einzelstücken zu verbieten. Das hat sich inzwischen allerdings geändert, wobei Radiohead nach einiger Überzeugungsarbeit nun doch auch den Absatz einzelner Tracks zulässt.
Das Download-Geschäft wird auch dadurch angekurbelt, dass die Plattenindustrie ihrer Kundschaft inzwischen deutlich mehr vertraut als früher - eine Entwicklung, die nicht unbedingt freiwillig geschah. Konnte man Musik einst nur mit den schweren Fesseln des so genannten "digitalen Rechtemanagements" erwerben, die unter anderem verboten, sie auf bestimmten Geräten abzuspielen oder auf CD zu brennen, geht der Trend seit gut einem Jahr zu kopierschutzfreien Formaten wie MP3, die inzwischen auch von den Top 4-Plattenlabels EMI, Sony, Universal und Warner unterstützt werden, nachdem es unabhängige Musikfirmen lange vormachten. Für den Nutzer bedeutet die Technik wesentlich mehr Freiheit. Mehr Raubkopien als früher verursacht der Wechsel Experten zufolge hingegen nicht - wer Piraterie betreiben will, konnte das und kann es auch noch heute.
Unklar ist noch, ob das Download-Geschäft die klassische Musikindustrie tatsächlich retten kann. Zwar steigt der Anteil der Online-Verkäufe am Gesamtumsatz, doch der vollständige Kuchen schrumpft. So schätzt das Marktforschungsunternehmen Forrester, dass die Musikverkäufe in den USA bis 2013 auf 9,2 Milliarden Dollar schrumpfen werden, derzeit liegen sie noch bei 10,1 Milliarden. Und der Abstieg scheint unaufhaltsam: Noch 1999 wurden 14,6 Milliarden Dollar mit Musik umgesetzt. Die Frage sei deshalb, ob man nicht "analoge Dollars gegen digitale Cents" eintausche, meint der Chef des Medienkonzerns NBC Universal, Jeff Zucker.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!