Platt für Materialisten: Herr Meyer im Gehäus
Hans-Joachim Meyer hat für "De Kommunistische Partei ehr Manifest" Karl Marx' und Friedrich Engels' Bandwurmsätze in eine sinnliche, packende Sprache gebracht. Ein Besuch
HARBURG taz | Hans-Joachim Meyer hat was gegen verklärende Heimatnostalgie. Dagegen schreibt er an. In seinen Geschichten trinkt man nicht gemütlich Tee oder lacht über Lausbubenstreiche. Es geht um einen schwulen Jugendlichen, der Angst vor dem Coming-out hat. Oder um eine alte Frau, die von den Nationalsozialisten zwangssterilisiert wurde. Warum das mit der Nostalgie eine besondere Erwähnung wert ist? Hans-Joachim Meyer schreibt immer auf Platt. Und jetzt hat er Karl Marx übersetzt.
Das plattdeutsche Manifest ist bereits Meyers zehntes Buch, es verkauft sich gut, für seine Verhältnisse: Mehr als 100 Exemplare sind schon weg, die Hälfte der privat gedruckten Auflage.
Meyer sitzt auf einem wackeligen Stuhl am krümelübersäten Küchentisch und freut sich, dass er so viele Abnehmer gefunden hat – „auch wenn die noch nicht alle bezahlt haben“, wie er sagt. „Aber das kommt noch.“ 100 Exemplare einer historischen, linksradikalen Kampfschrift abzusetzen bei einem Publikum, das vermeintlich auf traditionelle Schwänke abonniert ist und auf Geschichten aus der guten alten Zeit, als Oma noch „Mehlpütt mit Arfen“ kochte – Mehlkloß mit Zuckerebsen – doch, das ist für Meyer ein persönlicher Erfolg.
Nur aus Büchern gelernt
In seiner Küche verdecken Bücherstapel den unteren Teil der Wand, die sich hinter einer Kunststoffplatte in Sechzigerjahre-Braun versteckt. Preisurkunden von Plattdeutschwettbewerben sind über den Bücherbergen angepinnt. Auch mit nordfriesischen Kurzgeschichten hat Meyer einige erste Plätze erreicht, obwohl er diese holsteinische Minderheitensprache nur aus Büchern und nie mündlich gelernt hat. „Die Sprache kann kaum jemand“, sagt er, „da ist es dann leichter, etwas zu gewinnen, als bei den Plattdeutschwettbewerben.“
Abrechnungsformulare liegen herum, er nutzt seine Harburger Wohnung als Warenlager, denn alle seine Bücher sind bisher im Selbstverlag erschienen. „In den plattdeutschen Verlagen ist man an solchen Themen nicht interessiert.“
Früher war er in der DKP. Nach der Wende ist er enttäuscht zur Linkspartei gewechselt. Er sei kein Kommunist mehr, sagt Meyer. Trotzdem, das Kommunistische Manifest ist ihm wichtig, als Gründungsdokument der internationalen Arbeiterbewegung. Zu der zählt er sich noch immer. Und: Wenn Landesverfassungen und die Erklärung der Menschenrechte ins Plattdeutsche übersetzt werden, dann solle es auch das Manifest in der von der Europäischen Union anerkannten Sprache geben.
An den Wänden hängen Bilder aus seiner politisch bewegten Zeit, über die er zum Plattdeutschen kam. „Arbeiter, meidet den Schnaps!“, verkündet ein Plakat mit weißen Lettern auf rotem Grund. Bunte Reihen von Bierdosen säumen die Regale unter der Decke seiner kleinen Küche.
„Die meisten Plattdeutsch-Autoren sind Eigenbrötler“, sagt Meyer. Er selbst ist der Außenseiter in dieser Außenseiterszene: Als Flüchtling kam er, nach dem Krieg, aus Ostpreußen nach Norddeutschland, später outete er sich als schwul. „Die Grafikerin, die das Cover für meinen Krimi ’De Liek vun’n Hastedtplatz‘ gestaltet hat, meinte: Ich mache hier ein ganz verrücktes Buch – linksradikal, schwul und plattdeutsch.“ Meyer lacht und läuft rot an unter seinem weißen Bart.
Früher, als er Kind war, da gab’s in seinem Dorf bei Buxtehude die eine Lehrerin, die manchmal Platt gebrauchte. „Leider nur, wenn sie fluchte.“ Später hat er dann während der Semesterferien in einem Sägewerk gearbeitet. Die Arbeiter sprachen ausschließlich Platt. Seite für Seite eignete er sich niederdeutsche Vokabeln aus einem Wörterbuch an. Dann begann er, Artikel auf Platt zu schreiben, für Wohngebietszeitungen und die Harburger Volkszeitung. Bis heute veröffentlicht er sozialkritische Kurzgeschichten in der plattdeutschen Zeitschrift Quickborn.
Meyer stottert. Am Telefon oder vor vielen Leuten zu sprechen fällt ihm schwer. In seinen eigenen vier Wänden verliert sich diese Unsicherheit. Richtig in seinem Element ist er, wenn er über die Besonderheiten des Plattdeutschen referiert, über Marx’ und Engels’ Bandwurmsätze, die er für „De Kommunistische Partei ehr Manifest“ auseinanderreißen musste. Etwa neun Monate saß er an der Übersetzung, bis endlich auch der Schlusssatz da steht, mit Ausrufezeichen: „Proletariers vun all Länner, verenigt joo!“
Im Flur steht ein Aquarium, in dessen trübem Wasser keine lebenden Wesen auszumachen sind. Meyer hält sechs Katzen als Wohnungsgenossinnen. „Da müssten eigentlich mindestens drei weg“, gibt er zu. Die meisten haben sich versteckt, sie sind Besuch nicht gewöhnt. Doch ihre Anwesenheit lässt sich nicht leugnen. Geöffnete Schranktüren geben den Blick frei auf halbleere Katzenfutterdosen, es riecht nach Katzenklo, das wieder mal geleert werden müsste.
Während Meyer von den Sass’schen Rechtschreibregeln spricht, springt doch noch eine schwarz-weiß gefleckte Mieze auf den Küchentisch und schnuppert an einem fleckigen Wasserglas. Meyer fährt fort, ohne aufzublicken: „Da lege ich großen Wert drauf, dass die Laute eindeutig belegt werden.“
Um es Nicht-Muttersprachlern leichter zu machen, weiche er gelegentlich von der „Sass’sche Schrievwies“ ab und benutze etwa „good“ statt „gaut“. Währenddessen langt die Katze mit der Pfote ins Glas und zuckt zurück, als sie die Wasseroberfläche berührt. „Es heißt ja auch „gooden Dach“ und nicht „gooten Dach“, doziert Meyer. Drei bis vier Mal korrigiere er seine Texte vor der Veröffentlichung durch. Mit einem dumpfen Schlag ist die Katze auf dem Boden gelandet und stolziert davon.
„Jieper na Woren“
Obwohl er kein Muttersprachler ist, finden sich viele originelle, oft unterhaltsame niederdeutsche Ausdrücke in Meyers Text. Benutzten Marx und Engels schon im Original eine radikale Sprache, haut in der plattdeutschen Übersetzung der norddeutsche Dickkopf auf den Tisch: Im Hochdeutschen klagen die Kommunisten etwa die Bourgeoisie an, mit niedrigen Preisen „alle chinesischen Mauern in den Grund“ zu schießen. Auf Plattdeutsch aber heißt es, „de billigen Priesen vun ehr Woren sünd de swore Artillerie, mit de se all chineeschen Muurn in Gruus un Muus schütt“, oh wie viel sinnlicher ist das! Und statt vom schlichten Bedarf ist in Meyers Manifest vom „Jieper na Woren“ die Rede.
Bis auf gelegentliche Gespräche in der Quickborn-Redaktion spricht Meyer selbst kaum Plattdeutsch. Und Nordfriesisch benutzt er ohnehin fast nur, um Geschichten zu schreiben, oder Texte zu übersetzen. „Ich kann gar nicht flüssig Friesisch reden“, sagt er. „Ich muss immer wieder ins Wörterbuch schauen.“
Er wolle „diese Sprachen erhalten“. Dafür tut er das alles. Dafür führt Hans-Joachim Meyer seinen einsamen Kampf mit den Worten gegen die Tümelei: ein Gelehrter in seinem Gehäus zwischen Katzen und Stapeln von staubigen Büchern.
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