Planzen essen von Ariane Sommer : Die menschliche Lust
Viele Veganer sind nicht frei von gelegentlichen Fleischgelüsten. Das ist meiner Ansicht nach völlig normal und nichts, dessen man sich schämen muss. Ich selbst habe Fleisch zu essen nicht deshalb aufgegeben, weil es mir nicht geschmeckt hat. Im Gegenteil. Unappetitlich finde ich in Bezug auf den Fleischkonsum vor allem die mit der Massentierhaltung verbundene Grausamkeit sowie die negativen Auswirkungen auf die Umwelt und auf soziale Gerechtigkeit.
Das Umstellen auf eine pflanzliche Ernährung löscht leider nicht automatisch das Verlangen des Körpers und der Psyche nach Fleisch. Anfangs sind die Gelüste vor allem physisch bedingt. Denn Fleisch, genauso wie Milchprodukte, enthalten opiatähnliche Substanzen. Bei akuter Käsesucht hilft deshalb nur ein kalter Entzug. Und das ist jetzt (Obacht!) kein Quark.
Diese körperliche Abhängigkeit kann zum Glück innerhalb kurzer Zeit überwunden werden. Anders ist es mit den psychischen Gelüsten. Selbst nach all den Jahren pflanzlicher Ernährung ertappe ich mich ab und an dabei, bestimmte Gerichte zu vermissen. Wenn ich zum Beispiel im Restaurant sitze und etwas erschnuppere, das mich an den Sonntagsbraten meines Vaters erinnert. Viele Fleischgerichte sind eng mit Erinnerungen an liebe Menschen, schöne Erlebnisse und Traditionen verbunden – samt der damit einhergehenden positiven Gefühle.
Die Sehnsucht nach diesen Gerichten ist in ihrer Essenz die Sehnsucht nach den Personen und Situationen, die wir automatisch mit ihnen verbinden. Auch diese Gelüste verschwinden mit der Zeit, aber nicht komplett. Das macht einen allerdings nicht zu einem gescheiterten Veganer, sondern ist schlicht menschlich.
Nicht dass man die Fleischgelüste hat, ist ausschlaggebend – sondern was man aus ihnen macht. Mitgefühl schmeckt mir inzwischen besser als Mettbrötchen. Und alljene, die doch mal vom veganen Wagen fallen und der Fleischeslust nachgeben, sollten sich deshalb nicht selbst durch den Fleischwolf drehen. Sondern einfach wieder aufsteigen und nach vorne schauen.
Ariane Sommerschreibt hier alle zwei Wochen über veganes Leben Foto: Manfred Baumann
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