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Archiv-Artikel

Placeboeffekt unerwünscht

In Südafrika haben die ersten Tests mit einem Aidsimpfstoff begonnen. 36 Freiwillige haben sich dafür gemeldet, darunter auch ein irischer Pfarrer

AUS JOHANNESBURGMARTINA SCHWIKOWSKI

Father Kieran Creaghs Anspannung hat sich gelegt. Die ersten Tage in der Testreihe eines neuen Aidsimpfstoffes sind vorüber. „Ich habe kein Fieber und keine anderen Reaktionen meines Körpers festgestellt“, sagt Creagh, Ordensmann der Passionisten von Christus in der katholischen Kirche. „Vielleicht war ich ja einer der beiden Kandidaten, die das Placebo geimpft bekamen“, witzelt der 41-Jährige während der Nachuntersuchung im Chris-Hani-Baragwanath-Krankenhaus in Soweto.

Die Ärzte bestätigen nach der Blutabnahme: Alles in Ordnung. Doch noch für ein Jahr wird der irische Priester den Weg von seinem Kirchenkreis in Atteridgeville, einer Schwarzensiedlung bei Pretoria, auf sich nehmen, um zu regelmäßigen Kontrollen und zwei weiteren Injektionen in die Township Soweto bei Johannesburg zu fahren. Im „Bara“, so wird das größte Krankenhaus im südlichen Afrika genannt, hat die erste menschliche Versuchsreihe mit einem HIV-Impfstoff in Südafrika begonnen.

Creagh ist der Erste von zwölf Freiwilligen, die die Spritze mit dem Impfstoff AVX101 des amerikanischen Herstellers AlphaVax in den Oberarm erhalten haben. Sein Immunsystem soll Antikörper entwickeln, aber die Ansteckung mit dem tödlichen Virus ist ausgeschlossen. Er habe genug Viruskranke und Sterbende gesehen, begründet er seine Entscheidung für die Teilnahme als „Versuchskaninchen“. Das Gesundheitsrisiko sei gering, sagen die Ärzte. Ihnen geht es darum, Nebeneffekte zu testen. „Wie es auch sei, ich habe keine Angst vorm Sterben. Ich folge Christus, der für andere gestorben ist – aber natürlich will ich nicht sterben“, lacht der Priester und schüttelt seine grauen Haare. Er will nur seinen eigenen Beitrag leisten. „Meine Kirche ist gegen Verhütung, aber nicht jeder kann nach dem Motto der Enthaltung vor der Ehe und des Treuseins leben. Für diejenigen wäre es Mord, kein Kondom zu benutzen.“

Der Impfstoff ist aus winzigen genetischen Anteilen des HI-Virus C, der hauptsächlich im südlichen Afrika vorkommt, sowie eines Virus namens „Venezuelan equine encephalitis“ (VEE) gemeinsam von südafrikanischen und amerikanischen Wissenschaftlern in den USA hergestellt worden. Dort wird das Serum ebenfalls an an zwölf nichtinfizierten Teilnehmern ausprobiert.

Gleichzeitig hat die Aidsforschungsabteilung im „Bara“ eine zweite, ähnliche Versuchsreihe mit einem Impfstoff des HI-Virustyps A mit ebenfalls 24 Freiwilligen begonnen. „Wir wollen von dem kategorischen Denken in verschiedenen Virustypen, die in aller Welt existieren, wegkommen“, sagt Glenda Gray, Direktorin der Aidsforschungsabteilung im Krankenhaus in Soweto. „Die Studie soll dazu beitragen, in ferner Zukunft einen Impfstoff für alle vorhandenen Typen zu entwickeln.“

Das Serum ist an der englischen Universität Oxford und an der Uni Nairobi in Kenia hergestellt und bereits an Menschen getestet worden. Durch Finanzierung der Internationalen Aids-Impfstoff-Initiative, die auch Unterstützung von der Weltbank und der Bill und Melinda Gates Stiftung erhält, werden jetzt neue Versuche auch in der Schweiz, in England und den Niederlanden vorgenommen. „Es geht bei beiden Testreihen darum, den Sicherheitsaspekt zu prüfen, die Höhe der Dosis und Reaktionen des Immunsystems“, sagt Gray. Erst dann kann die zweite Testphase mit hunderten von Menschen in den nächsten fünf Jahren und nach weiteren fünf Jahren mit tausenden von Teilnehmern starten. „Nach etwa zehn Jahren werden wir eine Idee haben, was die Impfstoffe in Menschen verursachen.“ Die Impflinge sollen sich mit Kondomen schützen. „Doch wir wissen, dass menschliches Verhalten nicht perfekt ist, und auch mit Hilfe des Placeboeffekts können wir am Ende feststellen, wie das Immunsystem reagiert hat und ob jemand infiziert worden ist.“

Die meisten der 24 südafrikanischen Versuchsteilnehmer sind junge Leute aus Soweto. Sie nennen sich die „jungen Löwen“ im Kampf gegen HIV/Aids, wie damals im Antiapartheidkampf, als sich die jungen Kämpfer den gleichen Namen gaben. Die 22-jährige Talita Thekiso hat Freunde und Angehörige durch Aids verloren. „Wir müssen etwas tun“, sagt die junge Mutter. Father Creagh hilft mit dem Bau eines Hospizes für Aidskranke in der Township Atteridgeville und hofft, junge Menschen zu einem verantwortlicheren Sexualverhalten erziehen zu können. „Die wirklichen Helden“, sagt er, „sind diejenigen, die täglich mit Aids leben müssen.“