Nils Schuhmacher Hamburger Soundtrack: Pilze und Dekonstruktion
Manchmal geht man aus. Zum Beispiel ins Theater. Es kann passieren, dass dort kein Stück gegeben wird, sondern Martin Sonneborn von den Erfolgen seiner Partei „Die Partei“ berichtet, wie vor einiger Zeit im Schauspielhaus geschehen. Vor einem sitzt dann ein junges Pärchen, das sich etwas zu knabbern mitgebracht hat. Zum Beispiel Champignons, die auch weniger Geräusche machen als Wurzeln oder Kartoffeln. Davon ausgehend stellt man sich vor, die Leute gehen auf Konzerte und kauen dort kein Kaugummi, sondern eben herrlich weiche Pilze. Ausgestattet mit erdigem Atem fallen sie sich schließlich in die Arme, kommen einander sehr nah und sagen „Hallo“.
Oder besser: Man stellt sich angesichts der Assoziationskette Theater, Pilz und Partei lieber doch etwas Sinnlicheres vor. Zum Beispiel die Gruppe Laibach (8. 3., Kampnagel) aus Slowenien. Wie viele andere Länder gilt auch Slowenien als Pilzland. Wie viele andere Bands machen auch Laibach Musik. Darin erschöpfen sich die Gemeinsamkeiten aber auch schon. Während im Popbetrieb das Verwirrspiel der Eindeutigkeit dosiert und weithin auch spielerisch-harmlos betrieben wird, betreibt die seit 38 Jahren bestehende Band Theater dies- und jenseits des Totalitären und entwirft sich als monströses, kaum greifbares Gesamtkunstwerk.
Opus’ hirnrissiges „Live is Life“ mutierte unter ihrer Hand zum kryptofaschistisch-beklemmenden „Leben heißt Leben“. Ebenso wurde Queens „One Vision“ und diversen anderen Bombast-Songs die Unschuld ausgetrieben. Laibachs Werk der Dekonstruktion ist mittlerweile unüberschaubar groß, und es macht vor der großen Politik genauso wenig Halt wie vor der sogenannten Hochkultur. Natürlich wurde zwischenzeitlich eine Partei gegründet und mit Nordkorea sogar ein ganzer Staat zum Gegenstand einer, vielleicht nicht ganz gelungenen, Inszenierung gemacht.
Ebenso natürlich beschäftigen sich Laibach seit Langem schon mit der Interpretation bzw. Sektion von „bedeutungsvollen“ Opern, Theaterstücken und Weltliteratur. Nun ist „Also sprach Zarathustra“ dran, Nietzsches prosaischer Versuch über den Übermenschen, der hier in Zitaten, Fragmenten und Sound über einem ausgegossen wird. In einem Laibach-Sound wohlgemerkt, also einem dicht gewebten Teppich aus Neoklassik, Industrial und Dark Ambient. Man geht gern für ihn aus. Allerdings weiß man auch nicht so genau, wie man wiederkommt.
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