Pharmafirmen und die Schweinegrippe: Impfen lohnt sich
Seit der ersten Pandemiewarnung gibt es eine Branche, die kräftig verdient. Welche Unternehmen jetzt mit Impfstoffen Kasse machen.
"Schweinegrippe sorgt für Aufwind", freute sich die Dr. Schumacher GmbH Anfang September per Pressemitteilung. Das mittelständische Unternehmen im hessischen Malsfeld ist auf Desinfektions- und Hygienemittel spezialisiert. Seit der Pandemiewarnung der WHO werde man mit Fragen und Aufträgen überhäuft, pries die Firma ungeniert ihre Expertise.
Zwei Monate später und wenige Kilometer weiter herrscht mehr Zurückhaltung: "Insgesamt seit Monaten" stelle man eine höhere Nachfrage nach Desinfektions- und Hygieneprodukten fest, erklärt die Zentrale des Medizintechnikherstellers B. Braun. Keine Angabe zu Gründen. Verschiedene kommen infrage.
Vom Hype um das H1N1-Virus zu profitieren, wäre momentan kein Marketingvorteil. Zwar stören sich wenige an einem Boom für Desinfizierer, die Profitinteressen der Pharmaindustrie aber sehen viele als Beweis dafür, dass die Grippeimpfung komplett unnötig ist.
Pharma: GlaxoSmithKline setzte 2008 weltweit 2,5 Milliarden Pfund mit Impfstoffen um. Mit den Vorbereitungen auf eine Pandemie machte der Konzern laut Börsenzeitung 2007 bis 2008 520 Millionen Pfund Gewinn. Dem US-Biotechunternehmen Gilead, das das Patent für Tamiflu hält, schreibt das British Medical Journal Tantiemen von 52 Millionen US-Dollar innerhalb von drei Monaten im Frühjahr zu. Roche erwartet laut den Angaben Umsatzerlöse von 2 Milliarden Schweizer Franken für das Gesamtjahr. Novartis wird etwa 700 Millionen Dollar im vierten Quartal mit dem Impfstoff gegen die Schweinegrippe verdienen.
Infizierte: Die Gesamtzahl der Krankheitsfälle in Deutschland wird auf rund 30.000 geschätzt. Bislang sind elf Menschen in Deutschland am H1N1-Virus gestorben. Weltweit sind der Schweinegrippe 6.500 Menschen zum Opfer gefallen, wie das Europäische Zentrum zur Vorsorge und Überwachung von Krankheiten (ECDC) am Montag mitteilte.
Ende Juni in Brüssel: Die Vereinigung Europäischer Impfstoffhersteller (EVM) versichert Gesundheitsbehörden "in Europa und rund um die Welt" ihre Bereitschaft zum Kampf gegen die Grippegefahr. Man sei "besser aufgestellt als je zuvor", heißt es in einem Papier. Der EVM gehören Branchengrößen wie Baxter, GlaxoSmithKline (GSK), Novartis und Sanofi Pasteur an. Seit Jahren habe man sich auf eine Pandemie vorbereitet, versichern sie: mit neuen Technologien und größeren Produktionskapazitäten. Die Branche positioniert sich nicht nur als Partnerin in Gesundheitsfragen. Eine weitere Heilsbotschaft schwingt da mit: Wachstum durch Innovation.
Auch deutsche KanzlerInnen freuen sich über Millioneninvestitionen in die Impfstoffproduktion in Deutschland. Ein Bild von 2005 zeigt Gerhard Schröder beim Spatenstich für den Ausbau des GlaxoSmithKline-Werks in Dresden. Angela Merkel eröffnete 2007 eine neue Anlage bei Novartis in Marburg.
2009 haben die Bundesländer eine Bestelloption für Pandemie-Impfstoff bei Novartis. Die 50 Millionen fest georderten Dosen soll GSK liefern, heißt es im koordinierenden Thüringischen Sozialministerium. Das heißt wohl auch: Die im Sommer in Erfurt genannten 500 Millionen Euro für die Großlieferung fließen an GSK allein.
Das Marketing freilich läuft für die Firma nicht mehr rund. Kurz vor dem Start der Impfkampagne hatte der längst schwelende Streit über die Nebenwirkungen und mangelnde Erprobung des GSK-Impfstoffs Pandemrix auch die Bild-Zeitung erreicht. Die Nachricht, dass für die Bundeswehr und einige Bundesbedienstete H1N1-Impfstoff ohne die umstrittenen Wirkverstärker (Adjuvanzien) und das quecksilberhaltige Konservierungsmittel Thiomersal geordert war, ließ Pandemrix als miese Wahl erscheinen.
GSK setzte einen neuen Chef an die Spitze der Kommunikationsabteilung. Die E-Mail, die das bekannt gab, mahnte Journalisten an ihre Verantwortung, "da Ihre Arbeit und Berichterstattung" erheblichen Einfluss auf die Entscheidung für und gegen die Impfung haben werde.
Der Streit über die angebliche "Zweiklassenimpfung" hat sich inzwischen gelegt. Entscheidend dazu beigetragen haben dürfte allerdings, dass auch der von der Armee georderte Impfstoff Celvapan die Pandemrix-Kritiker nicht überzeugt - es gibt auch hier Verträglichkeitsbedenken.
Die Bundeswehr verrät nicht, wie viele Dosen Impfstoff sie zu welchem Preis bestellt hat. Für die deutschen Bestellungen insgesamt ist die Zahl 1 Milliarde Euro im Umlauf. Und der Streit über die Erprobung hält an. "Die Pharmaindustrie verdient natürlich sehr viel Geld im Rahmen dieser Impfkampagne", sagt Wolf-Dieter Ludwig, der Vorsitzende der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AKDÄ), "und sie kann darüber hinaus ihren Impfstoff nach Zulassung kostenlos testen."
Michael Kochen, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Allgemein- und Familienmedizin, sagt: "Ich bin ein ausgesprochener Impfbefürworter und würde auch gegen die Schweinegrippe impfen. Der Impfstoff muss aber ausreichend getestet und sicher sein." Kochen ist Mitherausgeber des Arznei-Telegramms, das die kritische Diskussion über die deutsche Impfstoffbestellung maßgeblich mit initiiert hat.
Recht deutlich zeichnet sich ab, dass sich die Bundeswehr schlicht am Hersteller orientiert hat. Als der Ärger um den vermeintlichen Premiumwirkstoff für die Armee gerade richtig hochkochte, erklärte ein Presseoffizier im Sanitätsamt, man habe bei der Bestellung auf Vorabsprachen mit Baxter aus der "Vogelgrippezeit" zurückgegriffen.
Laut Arznei-Telegramm ist auch die Impfstoffbestellung der Länder durch Absprachen aus dem Jahre 2007 bestimmt. Die Behörden hätten sich damals "für den Fall einer Influenzapandemie vertraglich zum Kauf des adjuvantierten GSK-Impfstoffes verpflichtet". Dass eine andere Pandemie andere Erfordernisse an einen Impfstoff stellen könnte, sei nicht einkalkuliert worden. Jetzt machten gerade die umstrittenen Wirkverstärker die Impfung teurer, rechnet die Redaktion vor.
Der Chef der Ständigen Impfkommission (Stiko) am Robert-Koch-Institut, Friedrich Hofmann, sieht die Lage ziemlich anders: "Wir können gottfroh sein, dass wir zumindest hier in Europa adjuvantierten Impfstoff haben", erklärt er am Sonntagabend gegenüber der taz. Denn nicht nur könne mit den Wirkverstärkern mehr Impfstoff produziert werden, sie sorgten auch für eine verbreiterte Immunantwort - also eine gegen mehrere Varianten eines Erregers.
Hofmann muss sich oft Kritik an der Unabhängigkeit der Stiko anhören. So Mitte September von Transparency International: "Intransparenz und potenzielle Interessenkonflikte unterminieren die Glaubwürdigkeit und nähren im aktuellen Fall den Verdacht, dass die H1N1-Grippewelle als Schweinegrippe-Pandemie von der Pharmaindustrie zur Vermarktung genutzt wird", schrieb die Antikorruptionsorganisation.
Hofmann weist das von sich und seinen Kollegen. Einige Mitglieder seien an Zulassungsstudien für die H1N1-Impfung beteiligt gewesen. Diese hätten aber - wie bei der Stiko üblich - weder an den Diskussionen noch an der Beschlussfassung über die Impfempfehlung teilgenommen. "Natürlich" sei die Kommission industrieunabhängig. An ihrer Transparenz, so lässt er durchblicken, könnten sich andere Regierungskommissionen noch ein Beispiel nehmen.
Ein Problem hat die Stiko aber auf jeden Fall: Denn auch Ärzte, die ihre Empfehlungen umsetzen sollen, zweifeln an der Unabhängigkeit. Das Robert-Koch-Institut und das für die Impfstoffzulassung zuständige Paul-Ehrlich-Institut stehen gleich mit in der Kritik. Der renommierte Arzneiversorgungsforscher Gerd Glaeske meint, man müsse über eine andere Zusammensetzung der Stiko nachdenken. Darüber, auch Wissenschaftler mit den Schwerpunkten Public Health oder Experten für gesundheitliche Aufklärung in die Beschlussfassung einzubeziehen. Er hatte früh kritisiert, in Deutschland werde zu wenig über schlichte Alltagsprävention wie Händewaschen gesprochen - und sehr schnell über vermarktbare Produkte.
In Deutschland habe das Grippemittel Tamiflu dem Hersteller Roche im April einen Umsatz von 5,4 Millionen Euro gebracht, rechnet Glaeske vor. Die Grundlage sind Bestelldaten der Apotheken beim Großhandel. Die allerdings schwanken stark von Monat zu Monat. Im April 2009, als die WHO ihre erste Schweinegrippewarnung aussprach, war der Sprung gegenüber dem Vorjahr gewaltig: 260.000 Packungen seien damals geordert worden - im April 2008 wurde quasi nichts bestellt, sagt Glaeske.
Das British Medical Journal berichtete im September über Schätzungen der Investmentbank JP Morgen zur Schweinegrippe: Danach hatten Regierungen weltweit für 3 Milliarden US-Dollar antivirale Medikamente bestellt; kurz zuvor platzierte und künftige Bestellungen wurden auf ein Volumen von 7 Milliarden Dollar geschätzt.
Wie solche Ausgaben einmal abschließend bewertet werden, dürfte von der weiteren Entwicklung der Pandemie abhängen. Vielleicht mehr noch von ihrer öffentlichen Wahrnehmung. Viele Einschätzungen müssen seriöserweise mit einem Haltbarkeitsdatum versehen werden. Gerd Glaeske wies am Freitag auf katastrophenhungrige Medien hin. Er vermutete aber auch, dass politischer Druck auf Wissenschaftler ausgeübt wird, damit diese bereits gefällte Entscheidungen legitimieren. In jedem Falle sei das Risikomanagement danebengegangen.
Glaeske: "Man hätte von Anfang an differenzierter berichten sollen." Die Ausgangssituation in einem industrialisierten Land mit entsprechenden hygienischen Möglichkeiten sei anders als die in armen Ländern. Auch auf die Situation verschiedener Bevölkerungsgruppen hätte man eingehen müssen. "Die Industrie ist sicher nicht unbeteiligt daran, dass solche Horrorszenarien verbreitet werden", sagt Glaeske. "Sie musste es aber gar nicht selbst machen." Andere Institutionen hätte es ihr abgenommen. "Wie das zusammenhängt, wäre noch einmal eine Untersuchung wert."
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