Peyton Manning vor dem Super Bowl: Wohlerzogener Werfer
Vier Wirbelsäulen-OPs, Rausschmiss in Indianapolis – jetzt krönt Peyton Manning als Quarterback der Denver Broncos seine sagenhaften Rückkehr.
NEW YORK taz | Man hätte es Peyton Manning nicht verdenken können, wenn ihm der Geduldsfaden gerissen wäre an diesem Dienstag, dem „Media Day“ vor dem Superbowl, bei dem die Spieler und Trainer der beiden Finalemannschaften der Presse und den Fans zum Fraß vorgeworfen werden wie blutende Delfine einem Haifischrudel.
Doch Manning war die Ruhe selbst, wie er da auf seinem Klappstuhl inmitten all der Mikrofone und Kameras im Prudential Center von Newark saß, einem Kongresszentrum auf halbem Weg zwischen dem Mannschaftshotel der Denver Broncos und dem MetLife-Stadion, wo am Sonntag das große Spiel stattfindet. Frisch geduscht und mit akkuratem Seitenscheitel beantwortete er geduldig und gewissenhaft eine Frage nach der anderen, egal von wem sie kam, egal wie aufdringlich sie war.
Dabei gab sich der Quarterback der Broncos, der überragende Spieler der abgelaufenen Saison und nach landläufiger Meinung beste Footballprofi der vergangenen zehn Jahre, alle Mühe, den Hype um seine Person zu dämpfen. Von seinem Status in der Ruhmeshalle des Sports zu sprechen, von seinem „Vermächtnis“ gar, sagte er mit seinem charmanten Südstaatenakzent, halte er für verfrüht. Ein Vermächtnis habe man vielleicht mit 70 aber nicht mit 37. Und am Sonntag den Titel zu gewinnen, das „wäre sicher eine grandiose Sache für die Organisation der Broncos“.
Davon zu sprechen, was für ihn persönlich eine zweite Meisterschaft nach 2006 bedeuten würde, vermied er jedoch tunlichst. Dabei ist natürlich völlig klar, dass ein zweiter Titelgewinn in der dritten Finalteilnahme Mannings Stellung als einer der größten Spieler aller Zeiten zementieren würde. Manning, der vor sieben Jahren mit den Indianapolis Colts den Lombardi-Pokal gewann, bemerkte die New York Times am vergangenen Wochenende, würde vermutlich der erste Spieler, dem sie in zwei amerikanischen Städten ein Denkmal setzen.
Ohne Brustgetrommel
Aber Manning weigert sich, über seinen Ruhm zu sinnieren oder sich in Branchenmanier auf die Brust zu trommeln, wie etwa sein Kollege von den Seattle Seahawks, Richard Sherman, der sich nach dem Halbfinale gegen San Francisco einen viel beachteten Ausraster vor laufenden Kameras leistete.
Manning gibt den wohlerzogenen Gentleman aus New Orleans, den frommen Christen und sorgenden Familienvater, den selbstlosen Star, der keinen Fanbrief unbeantwortet lässt und mehr Geld als jeder andere Sportler für wohltätige Zwecke ausgibt. Manning hat dieses Image sorgsam kultiviert, und er achtet ebenso sorgsam darauf, es genau jetzt, wo er auf dem Höhepunkt seines Schaffens steht, nicht zu verspielen.
Den Liga-Verantwortlichen bei der Football-Liga NFL ist es mehr als willkommen, dass es ausgerechnet Manning ist, der rund um diesen Superbowl die Aufmerksamkeit auf sich zieht. Er, der formvollendete Elder Statesman, der harte Arbeiter und verantwortungsbewusste Mannschaftskapitän. Er, der derzeitige Primus von Amerikas Vorzeige-Football-Familie, dessen Vater Archie und dessen Bruder Eli vor ihm als Star-Quarterbacks das Land stolz gemacht hatten.
Bevor Mannings Rekordsaison nach einer schweren Verletzung die Schlagzeilen bestimmte, wie Lance Armstrongs Comeback nach seiner Krebserkrankung, hatte die NFL in dieser Spielzeit mit so einigen PR-Kalamitäten zu ringen. Da war etwa die Mordanklage gegen den Offensive Lineman Aaron Hernandez oder das rassistische Mobbing gegen Jonathan Martin bei den Florida Marlins. Und da war die 765-Millionen-Dollar-Klage von pensionierten Spielern gegen die Liga, weil diese den wissenschaftlichen Beweis vertuscht hatte, dass Footballspielen Langzeithirnschäden zufolge hat.
Doch das ist jetzt alles vergessen, zumindest für den Moment, jetzt gehört die Bühne Peyton Manning und der sagenhaften Geschichte seiner Rückkehr aus dem Invalidenlager an die Spitze seines Sports. Und es ist ja eine beeindruckende Geschichte.
Ein bittersüßer Tag
Vor zwei Jahren, beim Superbowl-Finale Nummer 46 in Indianapolis, saß Peyton Manning hinter einer Plexiglasscheibe in einer VIP-Box und betrachtete das Spiel mit einem Opernglas. Es war ein bittersüßer Tag für ihn, sein kleiner Bruder Eli stand mit seinen New York Giants auf dem Feld und gewann schließlich gegen die New England Patriots mit Peyton Mannings Erzrivale Tom Brady den Pokal. Doch die Genugtuung war dadurch getrübt, dass Peyton nicht wusste, ob er selbst jemals wieder auf dem Platz würde stehen können.
Gerade mal vier Monate waren vergangen, seit Peyton Manning sich einer Halswirbeloperation unterzogen hatte. Einer Operation, die nötig geworden war, weil der zweimalige Liga-MVP den Football keine zehn Meter weit mehr werfen konnte. Er konnte sich im Bett nicht mehr umdrehen, er konnte nicht einmal mehr eine Einkaufstüte tragen.
Die OP war die vierte Wirbeloperation für Manning, sein letzter Versuch, noch einmal auf die Beine zu kommen. Und der Erfolg der Maßnahme war zum Zeitpunkt des Endspiels 2012 noch alles andere als sicher.
Manning hatte sich mit Zähigkeit und Akribie wieder einigermaßen in Form gebracht, er konnte wieder Pässe werfen, und sie gingen manchmal gar dorthin, wo er wollte. Es war ein gigantischer Erfolg für ihn, seine Ärzte und Trainer hatten ihm das unmittelbar nach dem Eingriff nicht zugetraut. „Er musste alles wieder von vorne lernen“, erinnert sich David Cutcliffe, sein College-Trainer, der Manning half, wieder in Form zu kommen.
Für seinen Arbeitgeber, die Indianapolis Colts, ging der Reha-Erfolg jedoch nicht schnell genug. Genau einen Monat nach dem Superbowl-Triumph von Bruder Eli gab man ihm den Laufpass.
Es war die bitterste Stunde in Mannings Karriere, der mehr als jeder andere die Geschicke der Indianapolis Colts über die Jahre geprägt hatte. Fast im Alleingang hatte Manning die Colts von einem Punktelieferanten in eine Meistermannschaft verwandelt. Er hatte einen Stadionneubau ermöglicht, man hatte eine Straße und ein Krankenhaus nach ihm benannt. Manning identifizierte sich mit Indianapolis und die Stadt mit ihm, und nun ließ man ihn fallen. Einfach so.
Auf allen Titelseiten
Doch die Geschichte hatte ein Happy End. Denver gab Manning eine Chance, obwohl er bis heute leicht hinkt und weit von der Wurfkraft seiner besten Jahre entfernt ist. Man hatte Vertrauen in seine Genialität, in seine schier unheimliche Fähigkeit, besser als jeder andere in Sekundenschnelle die Spielsituation zu analysieren und genau den richtigen Pass zum richtigen Moment zu platzieren.
So kam Peyton Manning hierher, in das Auge des Superbowl-Medienorkans und auf die Titelseite aller Endspielprospekte. Aber ist er wirklich der altersmilde, bescheidene Held, als der er sich gibt, der dankbar ist, nur hier sein zu dürfen, und dem es nur um seine Mannschaft geht?
Eine Episode aus seiner Reha gibt da zu denken. Als Manning nach zahllosen Stunden Physiotherapie das Gefühl hatte, wieder leidlich werfen zu können, lud er ehemalige Weggefährten aus Indianapolis ein, um das AFC-Meisterschaftsspiel von 2010 nachzustellen. Manning wollte ausprobieren, ob ihm die Pässe von damals noch gelingen. „Es war teilweise absurd“, erinnert sich Mitspieler Brandon Stokley. „Wir mussten auf die Sekunde genau die Gatorade-Pausen von damals einhalten.“ Doch genau das zeigte Stokley und den anderen, dass Peyton Manning noch nicht fertig war. „Es war genau wie früher. Er war ganz wieder er selbst.“
Mannings Vater Archie sagte einmal, dass Peyton, wenn er nicht Football spielen würde, 100-mal am Tag die Spüle putzen würde. Manning ist ein Besessener, ein Perfektionist. So ist er zum besten Quarterback der Liga geworden, und so hat er sich wieder an die Spitze gekämpft. Die höfliche Bescheidenheit ist für nach dem Spiel, auch nach 15 Jahren in der Liga, auch mit 37.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?