Peter Unfried Die eine Frage: Wie lösen wir die Probleme?
Noch immer tun große Teile der Mediengesellschaft so, als seien wir in den 1980er Jahren. Das ist besonders auffällig im Kontext der Grünen. Gerade macht das eine normal überflüssige ZDF-Doku. Die Geschichte von Partei und Bundesrepublik wird oberflächlich nacherzählt in starken, aber wirr zusammengeschnittenen Bildern, die einen sagen dies, die anderen das, und eine Stimme aus dem Off raunt dazu, dass die Grünen „eine ganz normale Partei“ geworden seien, die im Wahlkampf nur das Ziel gehabt habe, „an der Macht zu bleiben.“
Ja, was denn sonst, wenn man etwas politisch bewirken will, möchte man da anständig aufschreien, wir haben 2025. Aber die grüne Illusionismus-Erzählung beruht eben auf der Tradition von 1968, auf Anti-Politik, auf Anti-Establishment, auf Widerstand gegen die „Zustände“, ohne politische Macht zu haben, um sie zu ändern. In der Doku findet sich überhaupt kein Hinweis darauf, wie das Land und seine Gesellschaft an den Punkt gekommen sind, an dem wir heute sind, und wie die grüne Illusionismus-Erzählung und die bundesrepublikanische Illusionismus-Erzählung zusammenhängen.
Eine These von mir: Die grüne Illusionismus-Story wurde nicht nur von uns Salonlinken zur moralischen Selbstbereicherung gebraucht, sondern vor allem auch vom Business-as-usual-Land. Wie Katholiken die bessere Welt in die Sonntagspredigt auslagern, so lagerte die Gesellschaft ihre Zukunftsalternativen in ein realpolitisch unfähiges Nirwana aus, von dem lange keine Verwirklichungsgefahr ausging. Als dann Robert Habeck als Vizekanzler anfing, Politik für eine postfossile und zukunftsfähige Wirtschaft zu machen, waren beide Seiten frustriert. Die einen, weil es jetzt wirklich passierte, die anderen, weil es nicht so wunderschön passierte, wie man sich das im Nirwana erträumt hatte.
In den Unsereins-Milieus geht es auch heute noch um die Ego-Frage: Wie bleiben wir uns selbst treu? Die entscheidenden Fragen lauten aber: Wie lösen wir die Probleme? Wie halten wir dafür die Gesellschaft und die Gesellschaften einigermaßen zusammen? Statt die ganze Welt nur auf sich selbst zu beziehen und die Handlungsmöglichkeiten mit den klassischen Ausschlussformeln zu verkleinern („Geht gar nicht!“), muss eine progressive Partei – um das Wort mal neu zu besetzen – sich eben nicht treu bleiben, sondern so viele produktive neue Verbindungen wie möglich herstellen.
Peter Unfried ist Chefreporter der taz.
Die Geschichte der Grünen war lange Zeit eine Geschichte von selbstbezogenen und antipolitischen Milieus. Was ideal für die beiden fossilen Volksparteien war. Mit Regierungspolitikern wie Habeck, Kretschmann, Özdemir, aber auch Mona Neubaur, Danyal Bayaz, Monika Heinold haben die Grünen dann zumindest programmatisch aus dem Zentrum für die ganze Gesellschaft Politik zu machen versucht. Das ist Fortschritt: Wenn man die Gesellschaft sozialökologisch aufladen will, muss man die Mitte besetzen, sonst hat man das, was wir im Moment haben – eine unsinnige Lagerbildung in pro und contra Klimapolitik. Dann wird die Mitte ein leerer Ort. Aber man darf sich auch nicht zu viel gefallen lassen, das ist eine Lehre aus dem Wahlkampf. „Man muss auch streiten, wenn Streit gefragt ist“, sagt Joschka Fischer in der Doku. Aber eben nicht nur intern, ob man „wieder links“ werden müsse und welche Pullis wer trägt.
„Doch wenn die Partei vergisst, wofür sie einst angetreten ist, wird sie entbehrlich“, raunt die Stimme in der ZDF-Doku. Das bringt den nostalgischen Illusionismus auf den Punkt. Andersherum: Entbehrlich sind die Parteien, die immer zurückschauen und sich im Ideale-Geschwätz verstecken, weil sie nicht wissen, wie sie die realen Probleme von heute angehen.
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