Peter Altmaier über Netzpolitik: "Das wird zur Überlebensfrage"
Mit Twitter konnte der CDU-Politiker Peter Altmaier bis vor kurzem nichts anfangen. Doch nach dem Wahlerfolg der Piraten in Berlin wurde der Politiker neugierig.
Sie haben rund um die Uhr zu tun. Wann ist noch Zeit für Twitter?
Peter Altmaier: Anfangs war es ein großer Zeitaufwand, weil es für mich ungewohnt war. Inzwischen lässt es sich locker in den Tagesablauf integrieren. Ich twittere meistens, wenn Leerlauf ist: Zum Beispiel wenn ich aufs Flugzeug oder die Bahn warte, bisweilen auch in einer langweiligen Sitzung.
Welche Vorteile ziehen Sie für sich als Politiker daraus?
59, ist seit 2013 Chef des Bundeskanzleramts und Bundesminister für Besondere Aufgaben. Zuvor war er für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zuständig.
Es ist eine zusätzliche Erkenntnisquelle, man erfährt vieles schneller und präziser, zum Beispiel was andere Kollegen sagen. Außerdem kann man auch unterwegs mit Hunderten oder sogar Tausenden Menschen in Verbindung bleiben.
Wie tauschen Sie sich denn mit dem normalen Wahlvolk aus?
Wenn ich im Wahlkreis Bürger traditionell anspreche, habe ich eine Zielgruppe von 300.000 Personen, von denen sich aber nur wenige wirklich für Politik interessieren und noch weniger für die Themen, die mich gerade bewegen. Wenn Sie sich auf Twitter betätigen, haben Sie ein paar hundert oder tausend Follower, die Ihnen folgen, weil sie sich für Ihre Äußerungen interessieren. Sie erreichen also mehr tatsächlich Interessierte.
Müsste dann nicht jeder Volksvertreter twittern oder Facebook nutzen?
Bereits jetzt twittern mehrere hundert Mitglieder des Bundestags – in unterschiedlicher Intensität. Die Entwicklung ist im vollen Gange. Ich gehe davon aus, dass Twitter in den nächsten Monaten und Jahren zu einem klassischen Arbeitsinstrument für Politiker wird, wie dies vor einigen Jahren mit dem Fax und der E-Mail geschehen ist.
Auf Twitter kann man schön zuspitzen, aber kaum debattieren...
Twitter bietet 140 Zeichen – das ist so viel, wie sie für einen O-Ton im Fernsehen haben. Damit können Sie eine Position markieren, aber nicht differenziert argumentieren. Deshalb werde ich bis zum Ende dieses Jahres auf meiner Homepage eine Blogfunktion einrichten, die es ermöglicht, intensivere Debatten zu führen.
Warum ist Ihnen das Thema so wichtig?
Ich halte den Erwerb von Netzkompetenz mittelfristig für eine Überlebensfrage – für alle Parteien. Das Mitwirkungsrecht des Bürgers war früher darauf beschränkt, alle vier Jahre zur Wahl zu gehen oder Mitglied einer Partei zu werden. Heute kann er sich permanent an politischer Kommunikation beteiligen. Die Strukturen sind dabei, sich herauszubilden, das Netz übt noch. Aber wir werden erleben, dass solch eine Meinungsbildung in Zukunft nicht mehr unbemerkt bleibt.
Die Netzpolitik ist bei der CDU allerdings noch nicht besonders sichtbar. Wie kann sich die Partei besser aufstellen?
Das ist bei SPD und FDP auch so. Das Internet wurde lange wahrgenommen, aber man hat das in ihm steckende Potenzial nur unzureichend erkannt. Das hängt auch damit zusammen, dass sich die netzpolitisch Interessierten überproportional bei der Piratenpartei gefunden haben.
In der Union gibt es einige Politiker, die sich mit ihren Positionen zur Inneren Sicherheit keine Freunde in der Netzgemeinde machen. Wie wollen Sie diesen Widerspruch auflösen?
Wir müssen auf die Netzgemeinde zugehen, aber nicht indem wir das Thema Innere Sicherheit abwerten. Innere Sicherheit ist die Kernkompetenz der Union. Wenn es uns gelingt, beispielsweise beim Datenschutz zu punkten, werden wir eine viel höhere Glaubwürdigkeit bei allen anderen netzpolitischen Themen haben.
Tut die Piratenpartei der CDU weh?
Diese neue Partei ist in einer Phase der Selbstfindung. Sie stellt ein ungeheures demokratisches Experiment dar, dessen Ergebnis wir weder kennen noch abschätzen können. Im Augenblick tut sie vor allem den Grünen und der SPD weh. Ich warne allerdings davor, das Phänomen Piraten nur unter wahltaktischen Gesichtspunkten zu beurteilen. Das würde übersehen, dass wir es mit möglicherweise mit einer Verschiebung der politischen Tektonik zu tun haben, die weit über die nächsten Wahlen hinausgeht.
INTERVIEW: Christof Kerkmann, dpa.
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