Peter Ahrens über Provinz : Ein Köhler kommt selten allein
Der Geheimtipp für angehende Manager, Diplomaten und Liedermacher: Paderborn. Eine legendäre Kaderschmiede
Vorgestern habe ich Horst Köhler gesehen. Er stellte sich der Hamburger CDU vor. Ihm quollen die üblichen Sätze aus dem Mund, von der Art, dass wir Deutschen unsere Identität bewahren müssten, und die Welt auch im Umbruch sei. Er sah ein bisschen erschöpft dabei aus. Es ist bestimmt auch anstrengend, vor sechzehn CDU-Landesverbänden und ein paar versprengten FDP-Mikroorganismen immer dasselbe sagen zu müssen und sich anschließend von dahergelaufenen Provinzchristdemokraten, die das überhaupt nicht wissen können, immer wieder vorhalten zu lassen, er sei ein hervorragender Bundespräsident.
Ich hatte einen Mitschüler, der ein bisschen wie Horst Köhler aussah und heute ganz bestimmt genau solche Sätze sagen würde, wenn man ihn nur danach fragte. Neulich bekam ich eine E-Mail von einer früheren Mitschülerin, die für das kommende Jahr das 20-jährige Abiturtreffen ankündigte.
Mein Jahrgang, Abitur 1985 am altsprachlichen Gymnasium Theodorianum in Paderborn, war voll von Typen, wie sie heute die Parlamente und Bilanzpressekonferenzen verstopfen. Die mit 18 schon wussten, wo sie in 20 Jahren mal landen würden und das zu allem Überfluss auch noch umgesetzt haben. Ich erinnere mich an einen, der nachgerade missionarischen Eifer daran setzte, den bedauernswerten sozialdemokratischen Geschichtslehrer davon zu überzeugen, dass Willy Brandt den Friedensnobelpreis nie im Leben verdient habe. Nebenbei managte er die Schülerzeitung, deren Redaktionskonferenzen gerne vorzeitig endeten, nachdem wir Jungredakteure uns über die Nachrüstung in die Haare bekommen hatten.
Außerdem protegierte er damals einen erfolglosen jungen Liedermacher, der nicht diese Lieder sang wie all die Danzers und Waders damals, sondern standhaft gegen Abtreibung und Friedensbewegung klampfte. Der Liedermacher hieß Bernd Stelter, und heute singt er darüber, dass er drei Haare auf der Brust habe und Pappa ’ne Knackwurst sei.
Jahre später habe ich den wackeren Schülerzeitungspropagandisten mal wiedergetroffen. Da hat er mich leutselig darüber aufgeklärt, dass Journalismus ohnehin nur etwas für Feiglinge und prinzipienlose Gesellen sei, Tintenkleckserei ohne Rückgrat, nichts für ihn. Nicht, dass er damit unbedingt Unrecht gehabt hätte. Aber dass er sich dann ausgerechnet auf die Diplomatenlaufbahn verlegt hat, habe ich nicht ganz verstanden. Genauso wenig, wie ich verstanden habe, dass sich das Mädchen, in das ich ein bisschen verliebt war, auf der Abschlussfahrt nach Griechenland mit ihm einlassen konnte. Als die beiden knutschend auf dem Deck der Fähre von Ancona nach Patras standen, war mir klar, dass ich nie werde CDU wählen können. Na ja, auch wegen der politischen Überzeugungen und der Ungerechtigkeit in der Welt selbstverständlich.
Ein anderer verwaltete im Geschichtskurs unablässig das geistige Erbe seines Vaters, der über Jahrzehnte Chef der CDU-Mittelstandsvereinigung in der Stadt war. Anschließend hat er auf einer Privat-Uni studiert, ist bei Gruner & Jahr ins Verlagswesen eingestiegen und hat dann im Management der Bild-Zeitung angeheuert. Beim 15-jährigen Abiturtreffen sind wir uns wieder über den Weg gelaufen. Ich habe ihm erzählt, dass ich bei der taz arbeite. Er hat das bei der lauten Musik offenbar nicht ganz richtig verstanden und geantwortet, dass er das ganz toll findet, weil die FAZ eines der wenigen Blätter sei, bei denen die Richtung noch stimme. Wir haben uns glänzend unterhalten.
Wahrscheinlich hat er damals schon geahnt, dass in 25 Jahren, wie wir jetzt aus berufenem Munde in dieser Zeitung gelernt haben, nur noch FAZ und taz übrig bleiben. Am Samstag habe ich mich doch sehr gefreut, als ich am Kiosk stand, der Verkäufer die Zukunftstaz in der Hand hielt, auf den dort aufgedruckten Preis starrte und irgendwann kopfschüttelnd feststellte: „Jetzt kostet die schon die halbe Praxisgebühr.“ Da war mir klar, dass meine Zeitung und der Anti-Agenda-2010-Protest zusammengefunden haben.