Personalwahl auf Grünem Parteitag: Kuhn fiel durchs Netz
Mit Cem Özdemir wird ein anatolischer Schwabe zum Parteivorsitzenden gekürt, seine Kollegin Claudia Roth wird im Amt bestätigt. Pech hat dagegen Fraktionschef Fritz Kuhn.
Als der Kandidat vom Rednerpult zurücktritt, verschwindet er sofort in einem dichten Pulk aus Journalisten und Kameras, über dem die Mikrofone an langen Stangen tanzen. Wie eine Mauer schieben sich die Medien zwischen Cem Özdemir und seine Partei.
Etwas gedehnt sagt der Sprecher des Parteitagspräsidiums, dass Özdemir das, was die Delegierten ihrem Kandidaten jetzt ausrichten möchten, wohl kaum hören könne. "Ich schlage vor, dass du vor den Fragen der Medien erst die Fragen der Delegierten beantwortest." Eine Frage lautet: "Cem, es heißt, du bist mediengeil. Was sagst du dazu?"
Özdemir kennt diesen Vorwurf. Doch weiß er ebenso gut, dass die vielen Kameras ein Grund dafür sind, dass die Partei ihn derzeit gut gebrauchen kann. "Mediale Schüchternheit ist nicht zwingende Voraussetzung, den Job zu machen", sagt er unter großem Applaus. Mit 79,2 Prozent der Stimmen wird Cem Özdemir am Samstag in der Erfurter Messehalle zum neuen Grünen-Parteichef gewählt. Das ist für grüne Verhältnisse sehr ordentlich, auch wenn er damit etwas weniger Zustimmung einfährt als Claudia Roth, die vor ihm mit 82,7 Prozent zur anderen Bundesvorsitzenden gewählt wurde.
Nach wochenlangem Gezerre in und zwischen den grünen Parteiflügeln war dies für alle ein erlösendes Ergebnis: Die Linken haben ihrer Kandidatin eine Nasenlänge zusätzlich verpasst. Die Realos haben ihren Kandidaten nach beträchtlichen Anlaufschwierigkeiten in den Sattel gehievt.
Die frisch gewählten Vorsitzenden bekommen Trommelstöcke in die Hand gedrückt, die immer noch Gorleben-trunkenen Niedersachsen-Grünen verlangen, dass Özdemir und Roth auf ein Atomfass trommeln. Für Roth keine Frage, Özdemir sieht befangen aus. Doch der Saal klatscht, und so ist der neue Parteichef für einen rhythmischen Moment Teil des Partei-Klangkörpers.
Das wars dann aber auch mit der Parteitagsharmonie. Bei den Wahlen zum Parteirat rasselt abends Fraktionschef Fritz Kuhn durch. Er bekommt sechs Stimmen weniger als der Abgeordnete Gerhard Schick. Für Kuhn ist kein Platz mehr in dem Gremium, das Bundes- und Länderspitzen verzahnen soll.
Mit steinernem Gesicht verlassen er und die Realo-Prominenz bald darauf die Messehalle. Niemand nimmt mehr Notiz vom Rest der Tagesordnung. Dass der Parteitag die von der Bundesspitze gewünschte "Neuenquote" ablehnt, die Parlamentseinsteigern geholfen hätte, fällt noch nicht einmal mehr der Grünen Jugend auf.
Doch möglicherweise findet die personelle Erneuerung der Partei auch ohne solche Hilfe statt. "Der Realo-Flügel ist in Auflösung", sagt später ein Erfolgsgrüner. "Die Partei will das System Fischer einfach nicht mehr." Damit bietet der Realo, der ungenannt bleiben will, die weitestgehende Interpretation der Klatsche für Kuhn an. Wahrscheinlich ist er für seine Art der Disziplinierung zu Regierungszwecken, seine marktwirtschaftlich orientierten Inhalte und schlicht dafür gestraft worden, auch noch nach Joschka Fischers Abgang dessen Statthalter in Berlin zu sein.
Mancher erwähnt, dass es Kuhn außerdem nicht gelungen ist, die Fraktion auf eine geschlossene Enthaltung zum Afghanistaneinsatz zu trimmen. Nicht nur Realos machen Kuhn außerdem dafür haftbar, dass Özdemir vom baden-württembergischen Landesverband kein Mandat für den Bundestag erhielt. Özdemir kommentiert am Sonntag knapp: Die Nichtwahl Kuhns sei "sicherlich ein Schönheitsfehler". Aber so was sei ihm auch schon passiert.
Vertreter des linken Flügels finden einerseits, Kuhn habe die Niederlage verdient. Andererseits ist ihnen klar, dass es nicht unbedingt klug ist, den eigenen Fraktionschef zum Wahljahr zu beschädigen. Doch hat Gerhard Schick, der sich ohne Funktionsargument in den Parteirat gedrängt hat, nur umgesetzt, was die Fraktionsspitze den jüngeren Grünen mitgab, als Schick & Co zu Jahresbeginn mit Debattenpapieren mehr Einfluss verlangten: Wer nach oben wolle, solle gern anfangen zu kämpfen, hieß es da etwas spöttisch. "Nur zu", raunzte etwa Kuhns Ko-Fraktionschefin Renate Künast.
Als Künast und der Fraktionsvize Jürgen Trittin am Sonntag zu den Spitzenkandidaten zur Bundestagswahl gewählt werden, ist die Luft schon etwas raus aus dem Parteitag. Künast bekommt für ihre Rede keine Ovationen. Trittin startet sanft, bittet ganz unironisch, untrittinesk bescheiden um Unterstützung, nimmt dann aber Fahrt auf, erntet Lacher und als er über den SPD-Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee herzieht - "der Mann heißt selbst bei seinen Genossen nur noch Pfütze" - endlich auch Jubel. Die beiden bekommen 92 Prozent Zustimmung.
Das Personal für das Wahljahr 2009 steht jetzt. Die Debatten über die Inhalte sind damit nicht vorbei: Im Mai ist Programmparteitag. Zwar hat in Erfurt der Energiepolitiker Hans-Josef Fell seinen Willen bekommen, dass die Grünen sich nun doch "anstrengen" wollen, dass die Republik bis 2030 zu 100 Prozent auf Ökostrom läuft. Doch werden die energiepolitisch Ambitionierten sich im Mai so wenig wie die Gegner des Afghanistaneinsatzes und die Sozialpolitiker die Gelegenheit entgehen lassen, die Bundesspitze unter Wahlkampfdruck zu Zugeständnissen zu zwingen.
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