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Archiv-Artikel

Penthesilea hätte leichtes Spiel

LAMENTO Der Dokumentarfilm „Der entsorgte Vater“ von Douglas Wolfsperger handelt vom Leid der Männer, die keinen Kontakt zu ihren Kindern haben dürfen. Der Regisseur ist selbst in dieser Lage, und seine Betroffenheit stellt sich jeder Erkenntnis in den Weg

Hier zieht einer aus, um das zu finden, was die überschaubaren Prämissen seines Suchens waren

VON BIRGIT GLOMBITZA

Für einen Moment scheint alles mit sich im Reinen zu sein in diesem langen Klagelied über den zwangsverwaisten Mann. Das fortwährende Leid rächt sich mit einer erhabenen Einsamkeit, wie man sie nur von den unverstandenen Helden in großen Legenden kennt: Ein Mann schiebt die Türen eines Hangars auf. Wenig später sitzt er in seinem Segelflugzeug. Über seinem Kopf eine Plexiglashülle, drumherum der freie blaue Himmel. Ein paar Wolken hängen schwer über dem nächsten Ort, das ist gut für die Thermik. Ein paar Akkorde nachdenkliche Rockmusik dazu – und wir ahnen bereits, dass dieser Hobbyflieger auf dem irdischen Boden etwas ausbremst, das tragischer sein muss als eine unerwiderte Liebe oder schlechtes Flugwetter.

Es ist das Drama der Scheidungsväter, in dem eine unversöhnliche Exgattin den Kontakt zum gemeinsamen Kind unterbindet. Ein Drama, das auch Douglas Wolfsperger, den Autor dieses Dokumentarfilms namens „Der entsorgte Vater“, sichtlich in die Knie zwingt. Sein letzter Versuch, die Mutter umzustimmen, schließlich sein Abschied von der Tochter bilden den Rahmen. Den Rest des Films über schart er Leidensgenossen um sich. Im warmen Lamento kommt man sich näher, man legt sich die Hände auf die Schultern, stemmt Gewichte, schwimmt, hockt sich mit vom Handtuch bedeckten Lenden an den Beckenrand und erprobt sich nicht sonderlich tiefsinnig in der Ergründung janusköpfiger Frauenzimmer.

Die rauben dem Kind, indem sie ihm den Vater nehmen, 50 Prozent seiner Identität und sorgen für Seelenqualen, die „somatisieren“, wie der Landesvorsitzenden der Organisation Väteraufbruch es einmal ausdrückt. Viele seiner Leidensgenossen haben sich nach dieser traumatisierenden Erfahrung sterilisieren lassen. Sie seien in den „Zeugungsstreik“ getreten, ereifert sich der Mann, und sein dünnes, graumeliertes Pferdeschwänzchen hüpft zu der kämpferischen Wucht seiner Worte über seine kompakten Schultern. „Zeugungsstreik“, wow, das ist die Kriegserklärung der Parteigänger Houellebecqs an Penthesilea und ihr Amazonenheer, das sich Männer nur zum Besamen heranholt. Oder ist dieser „Zeugungsstreik“ am Ende doch nur ein in Patzigkeit verdrehter Gebärmutterneid?

Damit keine Missverständnisse entstehen: Natürlich ist es unfassbar traurig, dem eigenen Kind nicht beim Aufwachsen zusehen, es nicht begleiten zu können. Sicherlich gibt es Frauen, die aus narzisstischen Persönlichkeitsstörungen heraus ein Kind ganz für sich haben wollen. Und es ist vermutlich immer schwer zu sagen, in welchen Teilen sich Rache und Enttäuschung über den ehemaligen Partner in die Argumente mischen, die mütterlicherseits zum „Wohl“ des Kindes herangezogen werden. Doch wer will aus dem reinen Hörensagen – und etwas anderes hat „Der entsorgte Vater“ eben nicht zu bieten – im Kinosaal entscheiden, welches Kind in die Lebenslügen der Mutter eingespannt wurde und welches tatsächlich vor traumatisierenden Übergriffen aller denkbaren Arten zu schützen ist?

Die einzige Frau, die in dem Film auftaucht, scheint nicht unglücklich zu sein, dass der Vater ihres zweiten, noch nicht geborenen Kindes so krank und so weit weg ist, dass sie sich diesmal von Anfang an alleine um den Nachwuchs kümmern kann. Der Autor, Regisseur, Interviewer quittiert das mit fassungsloser Stille. So grausam, so egoman ist das. Wer kann schon sagen, wie grausam und egoman sich der Ex dieser Frau verhalten hat, als er auf sie einprügelte. Was stimmt nun, und was stimmt so sehr, dass es sich zur Gesetzmäßigkeit eignet?

Von Männerseite hören wir nur Diffuses. Man habe mal einen über den Durst getrunken, sich falsch oder unglücklich verhalten. Und wenn der Regisseur in der Straßenbahn einen „Höchstbetroffenen“ nach dem Unterschied zwischen „Männlein und Weiblein“ fragt und ein entsprechend vages Gewäsch – „Frauen sind irgendwie komplizierter“ – zu hören bekommt, dann liegt die Misere des Films so gähnend offen wie ein Hangartor. Hier zieht einer aus, um das zu finden, was die überschaubaren Prämissen seines Suchens waren.

Väter, denen man die Kinder entzieht: Das ist nicht nur eine intime Tragödie, sondern ein gesellschaftliches Phänomen. Die Mühe einer Begründung macht sich der Film nicht. Überprotegierter Mutterkult? Politisch gewollte Schwächung von geschiedenen Männern? Oder was? In den Reden der Protagonisten bleibt das eigene Leid eine vereinzelte Erfahrung und im Film eine Behauptung. Wir erfahren nichts über soziokulturelle oder historische Gründe der gesetzlich so geschützten Mutter-Kind-Bindung, nichts über den historischen Sinn der Gesetzgebung. Nicht einmal die aktuelle Gesetzeslage wird erläutert.

Es ist ein Film der Unverhältnismäßigkeit, der Fassungslosigkeit und der – aller Faselei zum Trotz – erschreckenden Wortlosigkeit geworden. Es fehlen Bezüge, differenziert ausgeleuchtete Vorgeschichten. Je genauer Wolfsperger hinschauen will, auf das eigene Leid und die Gesellschaft, die es umgibt, umso unschärfer und ferner schaut es zurück und bleibt ein diffuses phänomenologisches Irgendwie. Leichtes Spiel für Penthesilea.

■ „Der entsorgte Vater“. Regie: Douglas Wolfsperger. Dokumentation, Deutschland 2008, 86 Min.