: Peinliche Nähe
■ Franz Steinkühlers Protestbrief ist mehr als ein grober Schnitzer
KOMMENTARE
Den 1. Vorsitzenden der IG Metall, Franz Steinkühler, haben
-so scheint es - alle guten Geister verlassen. In seinem Protestbrief gegen die Enteignung von Gewerkschaftsvermögen (siehe Dokumentation auf dieser Seite) schoß Steinkühler weit über das gewohnte Maß an Verbalradikalismus hinaus, das höhere Gewerkschaftsfunktionäre ihrer in Sachen Klassenkampf unterversorgten Mitgliedschaft gern zur Kompensation anbieten. Auf den durchaus kritisierbaren groben Keil des neuerlichen DSU-Entwurfs eines „Gesetzes zur Enteignung der Grundvermögen von Parteien und Massenorganisationen“, der nicht einmal zwischen dem 1933 und dem nach 1945 enteigneten Vermögen unterscheidet, schlug der IG Metall-Vorsitzende ein paar ganz grobe Klötze. Gewiß, in der politischen Auseinandersetzung wird oft geholzt. Der Sprachgebrauch des Franz Steinkühler ist allerdings mehr als ein grober Schnitzer. Der Gesetzentwurf mag aus Gewerkschaftssicht zurecht ein „ungeheurer Skandal“ genannt werden. Der eigentliche Skandal ist aber Steinkühlers Gleichsetzung, wonach dieser Gesetzentwurf „an die finstersten Zeiten der deutschen Geschichte erinnert“. Daß nur wenige Sätze später schon von einem „Ermächtigungsgesetz“ die Rede ist, mag an der Binnenlogik dieser politischen Argumentationskette liegen.
Man erinnere sich: Am 31. Mai dieses Jahres setzte die DSU in einem Überraschungsmanöver einen Volkskammer-Beschluß durch, und seither ist eine Volkskammer-Kommission damit beschäftigt, die Vermögenswerte aller Parteien und Massenorganisationen im In- und Ausland festzustellen. „Formuliert wie (!) ein Ermächtigungsgesetz“ kommentierte dies seinerzeit der PDS-Vorsitzende Gysi. Die PDS-Zeitung 'Neues Deutschland‘ sprach am nächsten Tag von einer „Lex PDS“ und resümierte: „Damit wurde ein Gesetz der Ermächtigung zur Willkür verabschiedet... Das hatten wir schon in deutscher Geschichte, nicht nur in jüngster Vergangenheit.“ Und den jüngsten DSU-Vorstoß hakt das 'Neue Deutschland‘ von gestern gleich unter der Dachzeile „nach dem Ermächtigungsgesetz“ ab.
Dem Gleichlaut der Diktion entspricht, so bleibt nur noch zu hoffen, keine Kongruenz des Denkens. Einen geradezu absurden Dreh erhält durch den in unverhohlener Stamokap -Diktion abgefaßten Brief des Vorsitzenden der größten Einzelgewerkschaft der Welt allerdings die gleichzeitig laufende Ausschlußdebatte um den IGM-Beauftragten in Salzgitter, Bernd Henn. Henn ist vor kurzem aus der SPD ausgetreten und hat der Linken Liste/PDS seine Unterstützung zugesagt. Wie aber kann Henn ernsthaft gerügt oder gar - mit Anspruch auf Glaubwürdigkeit - ausgeschlossen werden, wenn er in aller Offenheit für das eintritt, was immerhin sprachlich doch offensichtlich Gemeingut seiner Gewerkschaft ist?
Anna Jonas
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