Peinliche Memoiren: Cherie Blairs literarische Windel
Verplante Verhütung, Tony Blairs Fußnägel und George Bushs Humor: die Memoiren der Ex-First Lady Cherie Blair sind ein Panoptikum der Peinlichkeiten.
Die "Memoiritis", wie es der Guardian getauft hat, geht um in Großbritannien. Wenn immer eine Regierung abgewirtschaftet hat, greifen die Geschassten unweigerlich zum Federhalter. Die letzten zwölf Premierminister vor Tony Blair haben es getan, und Blair wird es irgendwann auch tun. Vorerst hat jedoch sein gesamtes Umfeld Memoiren veröffentlicht: vier seiner Ex-Minister, der Labour-Spendeneinsammler, eine Reihe seiner Berater und nun auch seine Gattin Cherie Blair.
Was treibt diese Leute an? Ist es Rachsucht? In einigen Fällen sicherlich. Andere wollen ein bisschen Ruhm für die Nachwelt bewahren. Bei Cherie Blair ist es reine Geldgier. Eine Million Pfund soll sie kassiert haben. Dafür nimmt sie jede Peinlichkeit in Kauf. Eigentlich sollte ihr Buch erst im Oktober erscheinen, aber in Anbetracht der Schwierigkeiten von Tony Blairs Nachfolger Gordon Brown sagte sich der Verlag, dass jetzt der richtige Zeitpunkt sei, um einen weiteren Nagel in seinen Sarg zu schlagen.
Neue Gehässigkeiten gibt es freilich nicht. Dass sie Brown nicht leiden kann, war allgemein bekannt, da er hinter dem Job ihres Mannes her war. Die Kritiker haben kein gutes Haar an ihrem Buch "Speaking For Myself" gelassen, bis auf Times, die das Werk als Serie abdruckt, sowie das Schwesterblatt für Analphabeten, die Sun, die nicht zu Unrecht prahlt, dass sie Tony Blair an die Macht verholfen habe und somit indirekt für die Ergüsse seiner Frau verantwortlich sei. Sun und Cherie Blair passen gut zusammen. Beide hauen gerne Leute in die Pfanne, beide sind inhaltlich belanglos. Blair habe das Buch ganz alleine geschrieben, ohne Ghostwriter, prahlt der Verlag. Das ist ja das Fatale. Das Buch trieft vor Selbstmitleid. Sie beklagt "die Presse und ihre erbarmungslose Kampagne, mit der sie mich als habgierige, ränkesüchtige Person darstellt". Wenn man ihre Memoiren liest, kommt man zu dem Schluss, dass dieses Bild völlig korrekt ist.
Richtig widerlich wird es, wenn sie lamentiert, dass Gordon Brown eine Gehaltserhöhung für ihren Mann verhindert habe. Sie jammert darüber, dass sie eine Hypothek abzahlen musste, die so groß wie der Snowdon-Berg war - für ein Haus, das ebenso groß ist. Inzwischen haben sich die Blairs etwas vergrößert und das Anwesen des Schauspielers John Gielgud für vier Millionen Pfund erworben. Wenn sie sich dann empört, dass sie ihr Ticket für einen Flug zu einer Wohltätigkeitsveranstaltung selbst zahlen musste, hält sich das Mitgefühl in Grenzen. Sie erklärt ihre Habsucht damit, dass sie in ärmlichen Verhältnissen in Liverpool aufgewachsen ist. An anderer Stelle beschwert sie sich über die Memoiren ihres früheren Kindermädchens: "Egal, wer du bist, du kannst nicht über unsere Kinder in dieser Art schreiben - über ihre persönlichen Gepflogenheiten, ihre Wutanfälle, ihre Marotten, ihre Krankheiten, ihre Schrullen. Das war eine totale Verletzung ihrer Privatsphäre."
Das erledigt Cherie Blair lieber selbst. Es war ihr peinlich, schreibt sie, ihre "Verhütungsapparatur" - was immer das sein mag - zum Queen-Besuch aufs Schloss Balmoral mitzunehmen, weil die königlichen Bediensteten die Koffer der Gäste auspacken. Und da es kalt auf Balmoral war, führte eins zum anderen, und sie wurde mit Leo schwanger. Er wird sich, wenn er das Buch später liest, darüber freuen, dass er seine Existenz der Prüderie seiner Mutter und der schlechten Heizung der Monarchin verdankt. Lance Price, ein enger Mitarbeiter Blairs, stellt die Sache in seinen Memoiren anders dar: Tony Blair war für die Verhütungsmittel verantwortlich, und er hat sie schlicht daheim in der Downing Street vergessen. Man fragt sich ohnehin, warum sie damals die "Verhütungsapparatur" vor den Augen der Dienstmädchen verbergen wollte, wenn es ihr heute nicht zu peinlich ist, darüber zu schreiben.
Vielleicht, weil das Buch ohnehin mit Peinlichkeiten vollgestopft ist? Tony und sie seien sich zum ersten Mal auf dem leeren Oberdeck des Busses Nummer 74 nahegekommen. Kurz darauf wurde geheiratet, und den Lesern bleiben die Hochzeitsfotos nicht erspart. Tony Blairs Schritt sehe darauf sonderbar aus, schreibt seine Frau, denn er trage geborgte Unterhosen. Will man das wirklich wissen? Sie beschreibt den "Geruch seiner Haut", seinen "starken, jungen Körper", sein "Haar, dass sich auf eine Art über seinen Kragen kräuselt, dass ich es zwischen meinen Fingern drehen möchte". Es ist unfassbar, dass Tony Blair das Buch abgesegnet hat, bevor es in den Druck ging.
Er kommt nicht gut weg dabei, auch wenn das keineswegs Absicht ist. So erzählt sie, dass er und sein Pressesprecher Alastair Campbell ihre Fehlgeburt 2002 schnurstracks an die große Glocke hingen, weil sie von den Spekulationen über den bevorstehenden Irakkrieg ablenken wollten. Nachdem der Waffenexperte der Regierung, David Kelly, durch Blairs Rufmordkampagne in den Selbstmord getrieben worden war, sei Tony "verzweifelt" gewesen, aber Cherie stand ihm bei: "Du bist ein guter Mann. Und Gott weiß, dass deine Motive ehrlich sind, auch wenn die Folgen nicht so sind, wie du gehofft hast." Derek Vawdrey, Kellys Schwager, sagte, Cherie Blair solle sich dafür schämen, dass sie den Selbstmord dazu missbraucht, um das öffentliche Ansehen Blairs zu verbessern.
"Die Regierung war verantwortlich für seinen Tod. Es ist typisch für die Blairs, Davids Tod auszunutzen, um der Welt zu zeigen, was für ein wunderbarer Mann Tony Blair ist." Über den US-Präsidenten George W. Bush schreibt Cherie Blair, dass er nett sei, aber seine Frau sei netter. "George ist ein sehr lustiger, charmanter Mann. Niemand kann sagen, dass er keinen Sinn für Humor hat." Das wird die Menschen im Irak freuen.
Man erfährt außerdem, dass die ungewählte First Lady mit ihrer Repräsentantenrolle nicht zufrieden war, sondern ständig auf eine offizielle Aufgabe gedrängt hat - allerdings vergeblich: "Das System war einfach nicht eingerichtet auf die Gattin eines Premierministers, die involviert sein wollte." Sie habe aber, so behauptet sie, gemeinsam mit Tony das Reformprojekt "New Labour" entwickelt. "Was uns vereint hat, war der Ehrgeiz", schreibt sie. Und die Oberflächlichkeit, muss man hinzufügen. Über die politische Philosophie dieses Projekts erfährt man nichts in dem Buch, sie bestätigt indirekt den Verdacht, dass bei New Labour geistige Leere herrschte. Künftige Historiker werden sich fragen, wie eine ganze Nation von diesem Hirngespinst eingeseift werden konnte.
Cherie Blair hat ihren Mann immer wieder in unangenehme Situationen gebracht, bis zum Schluss, als das Ehepaar aus der Downing Street ausziehen musste und sie den Reportern zurief: "Tschüss, ich werde euch nicht vermissen." Ihr Mann blaffte sie deshalb an: "Du kannst es nicht lassen, oder? Du solltest etwas Würde und Dankbarkeit zeigen, verdammt noch mal." Sie kaufte von dem vorbestraften Freund ihrer Fitnesstrainerin illegal Wohnungen in Bristol, ohne Tony Blair zu informieren, sie stellte ihre Friseurbesuche der Labour-Partei in Rechnung, und sie ließ die Fußnägel ihres Mannes auspendeln. "Mein unvorhersehbarer Charakter ist ein Grund dafür, warum er mich liebt", meint sie.
Barbara Ellen schrieb im Observer, dass sogar Denis Thatcher, der als Trinker galt, eine bessere Figur als premierministerlicher Ehepartner abgegeben habe, als Cherie Blair. "Wenn man ihr Buch liest, überlegt man, ob Tony Blair mit Denis Thatcher nicht besser bedient gewesen wäre", findet Ellen. Gordon Brown muss sich wegen dieser literarischen Windel der Gattin seines Vorgängers keine Sorgen machen. Cherie Blair hat sich und ihren Mann unfreiwillig demontiert. Und Brown kann ja nachlegen, wenn er seinen Job als Premierminister los ist. Das könnte früher sein, als er geplant hat.
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