piwik no script img

Paul- hek-Retrospektive in KarlsruheDas Fleisch an der Kunst

Verfall, Tod und Mystik sind die Themen von Paul Thek. Das Zentrum für Kunst und Medientechnologie stellt mehr als 300 Werke des modernen Künstlers aus.

Ein Einblick in das Werk des 1988 an Aids verstorbenen Künstlers. Bild: dpa

Ein schlanker, hoher Plexiglaskasten, gelb angehaucht, stelenartig in den Himmel geschraubt. Glatt, industriemäßig sauber und ohne jede künstlerische Handschrift, wie ihn jeder Handwerker, jeder Hobbybastler nachbauen könnte: So kennt man die oft ein wenig langweilige Minimal Art. Es fehlt einfach das Fleisch in der Kunst. Das muss sich auch der amerikanische Künstler Paul Thek gedacht haben, denn auch er baute einen schlanken, hohen, gelben Plexiglaskasten und zog ihn meterweit in die Höhe. Aber genau in die Mitte, auf Augenhöhe des Betrachters, setzte er richtiges Fleisch. Sehnen, vertrocknete Adern sind zu sehen, man schwankt zwischen Faszination, Ekel und einem zustimmenden Nicken: Genau so muss man mit eingefahrenen Mustern umgehen, muss sie in einem Schwung in eine andere Richtung zerren und vor allem wieder mit Inhalt füllen.

Paul Thek ist kein Unbekannter der zeitgenössischen Kunst. 1933 in Brooklyn, New York, geboren, zog er in den Sechzigerjahren nach Europa, wo er schnell bekannt wurde, auf zwei documentas ausstellen konnte und dazu auf der Biennale in Venedig. Immer wieder zeigen Galerien und Museen seine Werke, in diesem Jahr konnte man in allein vier Ausstellungen Arbeiten von ihm sehen, unter anderem auf der Triennale in Fellbach.

Jetzt zeigt das ZKM Karlsruhe eine große Retrospektive, mit mehr als 300 Werken, die einen kleinen Einblick in seine Werkstatt, vor allem aber in sein abenteuerliches Denken und sein fantasievolles Schaffen gestatten, in eine Welt voller Verfall und Tod, abgeschnittener (Kunst)finger und privatmystischer Andeutungen.

Berühmt geworden ist Thek vor allem mit raumgreifenden Installationen. 1967 zum Beispiel mit einem Pyramidennachbau. In seinem Inneren lag eine lebensgroße Männerfigur aus Wachs, flach auf den Boden ausgestreckt, vor ihr ein paar Gefäße, Papier, ein Kissen. Und dann hat er ihr ein paar Finger abgeschnitten, die blutigen Schnittflächen ausgestellt und einen abgeschnittenen Penis noch dazu.

Oder seine "Zwergenparade", in der er einem Zwerg, komplett mit Zipfelmütze, einen großen Tisch aufgesetzt hat, auf den er wiederum ein paar Stühle platzierte, gestapelte Teller und Flaschen stehen daneben. Oder die "Ark Pyramid", die er auf der documenta 5 gezeigt hat, aus Papier geformt, den Zugang mit groben Hölzern gebaut, ein Hase wartet im Vordergrund.

Die meisten dieser Installationen sind nur noch fotografisch dokumentiert, manche sind verschollen, vieles ist zu fragil, um ausgeliehen zu werden. So hat sich das ZKM in einigen Fällen damit beholfen, die Installationen nachzubauen, um wenigstens einen kleinen Eindruck zu geben: wie die groben Bronzeskulpturen mit dem Holzhaus samt riesigem Holzturm und einigen Mäusen, die daran hochklettern - alles zusammen wie zufällig auf einem Teppich verteilt. Oder die Genter Ausstellung "chambres damis", als Bürger ihre Häuser öffneten und Paul Thek zusammen mit Kindern einen kleinen Assoziationsraum aus Bauklötzchen, einem Wasserbottich, einer Kinderschaukel, Bollerwagen und Weidenkorb und anderem, zufälligen Material zusammenstellte.

Auch seine Bilder malte Thek auf zufälligem Material, nämlich auf den Doppelseiten der Herald Tribune. Hier zeigt sich seine zweite Seite: Neben und während der Beschäftigung mit dem Tod, dem Fleisch, dem Verfall schuf er eine Welt von Zufälligkeiten, von privaten, manchmal fast mystisch angehauchten Symbolen. Er malte einen Apfelstrunk, von Wasserlinien umspielt, Vulkane, blaue Dinosaurier mit rotem Feuermaul auf rosa Papier, Landschaften, Pyramiden, eine Mohrrübe, Palmen oder ein Kamel. Manchmal flächig naiv, manchmal in wenigen Strichen zum Wesentlichen kommend. Eine radikale Subjektivität, der man sich nur anschließen oder sie verständnislos zur Kenntnis nehmen kann.

Eine erstaunliche Vielfalt wird in der Ausstellung im ZKM sichtbar, allerdings auch erstaunliche Qualitätsunterschiede, bis hin zu seinen nichtssagenden Spätwerken, die er kurze Zeit vor seinem Aidstod 1988 gemalt hat. Ergänzt wird die Thek-Schau mit Werken von Künstlerkollegen und Bewunderern, etwa Robert Elfgen, der wie Thek eine Arche baute, oder Kippenberger und Jonathan Meese oder einem hochpolitischen Videoraum von Jon Kessler.

Dieser Teil ist dann doch recht disparat, denn aufgenommen wurden auch Werke, die die Kuratoren irgendwie "an Paul Thek erinnerten". Das ist zwar manchmal anregend und ab und zu sogar nachvollziehbar, insgesamt allerdings etwas zu wenig, um kunsthistorischen oder -wissenschaftlichen Standards genügen zu können. Und es sieht dann doch ein wenig so aus, als hätten sie die Halle anders nicht voll bekommen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!