■ Parteitage von SPD und Grünen für Minderheitsregierung: Magdeburger Rätsel
In Sachsen-Anhalt sind SPD und Grüne gerade dabei, die Politik neu zu erfinden. Das muß so sein. Dem Entschluß zu einer rot-grünen Minderheitsregierung fehlt es schließlich an allem, was nach den überkommenen Kriterien den Einstieg in eine Regierungskoalition begründet. Rot-Grün in Magdeburg hat weder eine parlamentarische Mehrheit noch ein Regierungsprogramm, das in den entscheidenden Problemfeldern die Reformalternative erkennen ließe. Auch eine gesellschaftliche Mehrheit, auf die man zur Legitimierung des Projektes verweisen könnte, ist nicht in Sicht – es sei denn, man interpretierte die annähernd fünfzigprozentige Stimmenthaltung bei den Landtagswahlen als heimliches Votum für Rot-Grün. Keine Frage, das Experiment leidet an einem ausgeprägten Mangelsyndrom.
Die Defizite als innovatorischen Überfluß zu verkaufen, darin lag am Wochenende die propagandistische Aufgabe der beiden Parteitage. Die salbungsvolle Rationalisierung hat Konjunktur. So wird jetzt die unangenehme Situation, als künftige Regierung ohne Mehrheit agieren zu müssen, als willkommene Gelegenheit interpretiert, Politik endlich – und „dem Osten“ gemäß – als konsensorientierten Entscheidungsprozeß betreiben zu dürfen. Während, wie man weiß, im Westen der Parlamentarismus längst qua Fraktionszwang auf den Hund gekommen ist, sitzen in Magdeburg künftig alle wieder am großen Runden Tisch. Doch, davon darf ausgegangen werden, die oppositionelle Mehrheit wird sich den minderen Status und die Zustimmung zu den Koalitionsvorhaben kompensieren lassen wollen.
Damit gerät das zweite Defizit in den Blick. Unter den gegebenen Mehrheitsverhältnissen ist Rot-Grün vielleicht noch als labile Regierungskonstruktion, nicht jedoch als Politikwechsel zu machen. Denn jenseits der „äußeren“ Zwänge – Transformationskrise der Wirtschaft, Arbeitslosigkeit und chronisches Haushaltsdefizit –, die den Handlungsspielraum für alternative Politik in den neuen Ländern ohnehin begrenzen, ist absehbar, daß das rot-grüne Restprofil im Prozeß der Mehrheitssuche weiter abgeschliffen wird. Mag ja sein, daß sich die Unionsabgeordneten nicht von Bonn aus auf prinzipielle Verweigerung einschwören lassen; aber warum sollten die in die Opposition Verwiesenen den Gesetzesvorlagen einer Minderheitsregierung zustimmen, wenn nicht aus voller inhaltlicher Überzeugung?
Wie die originär rot-grünen Projekte aussehen könnten, die die CDUler in Magdeburg zur Zustimmung reizen werden, gehört derzeit zu den bestgehüteten Geheimnissen der Koalitionsarchitekten. Nimmt man den gerade verabschiedeten Koalitionsvertrag, liegt die Antwort ohnehin in andere Richtung. Man wird in der Wirtschaftspolitik der Union weit entgegenkommen und in der Umweltpolitik die Grünen mit vagen Absichtserklärungen vertrösten. Die Prognose basiert auf einer Binsenweisheit, die bislang auch im Osten ihre Gültigkeit behauptet hat: Rot-Grün ist mit der Union nicht zu machen.
Wie der CDU, so muß Höppner erst recht der PDS die Regierungsfähigkeit bestreiten und zugleich deren Kooperationsbereitschaft einklagen. Doch die Stimmen der PDS sind bekanntlich – zur Wahrung des öffentlichen Ansehens – nur zweite Wahl. Mit der Union ist das sachorientierte Gespräch erwünscht, mit der PDS soll nur in Form des einzelnen Mandatsträgers verhandelt werden. Das wird auch auf dieser Seite des Mehrheitsspektrums die Kooperationsbereitschaft nicht gerade fördern. Warum die auf Opposition abonnierte PDS, die schon durch die Debatte um Magdeburg ungeahnte Aufwertung erfahren hat, ihren konfrontativen Kurs ohne nachweislichen Einflußgewinn aufgeben sollte, bleibt unerfindlich. Das gilt vor allem deshalb, weil das auf Haushaltssanierung und Stellenkürzung festgelegte Koalitionsprogramm kaum Spielräume für Konzessionen an Gysis Klientel eröffnet.
Ohne Mehrheit keine „neue Politik“, mit Mehrheit nur die alte – so lautet das Dilemma. Woher die künftigen Partner die Zuversicht nehmen, daß sich aus dieser mißlichen Lage ein populäres Projekt entwickeln läßt, gehört ebenfalls zu den Magdeburger Rätseln. Um nicht dem Defätismus der Wahrscheinlichkeit zu verfallen, bemühen beide, SPD und Grüne, die Erinnerung an den wundersamen Herbst 89. Doch in dessen Folge wurden bekanntlich – mit ausdrücklicher Zustimmung der SPD – die Regeln des westlichen Politikbetriebs importiert, die jetzt, wie man in Magdeburg glauben machen will, im Interesse einer ganz eigenen politischen Kultur des Ostens außer Kraft gesetzt werden.
Doch das ist nur der Gipfel des Magdeburger Überbaus. An der Basis des Projekts findet sich eine einfache und aus dem Westbetrieb wohlbekannte Intention: den politischen Gegner in die Opposition zu verbannen. Daß man das in Sachsen-Anhalt erstmals auch gegen das Wahlergebnis und die parlamentarischen Mehrheiten versucht, mag originell anmuten. Als Ausdruck eines neuen politischen Ethos wird es, bei allen Beschwörungen, kaum durchgehen. Matthias Geis
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