Parteienforscher Franz Walter zur Wahl: "Schwarz-Gelb ist sinnlos"
Die FDP ist die einzige nicht sozialdemokratische Partei, sagt der Göttinger Politologe Franz Walter. Und die SPD wird sich so schnell nicht erholen – und muss sich der Linken zuwenden.
taz: Herr Walter, muss SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier nach dem miserablen Wahlergebnis gehen?
Franz Walter: Die Sozialdemokratie ist zurückgefallen auf den Stand von 1893, damals hatte sie auch nicht mehr Unterstützer. Aber das ist nicht einfach mit der Person Steinmeier zu erklären. Dennoch: Mit SPD-Chef Franz Müntefering und Steinmeier kann man nicht einfach weitermachen. Derzeit schmieren fast alle Sozialdemokraten in Europa ab.
Warum kommen die Sozialdemokraten nicht an?
Viele von denen, die einmal ihr Kreuz für die Sozialdemokraten gemacht haben, gehen heute nicht mehr zur Wahl. Die ganz unten stehen hatten von einer sozialdemokratischen Regierung erwartet, dass soziale Rechte gestärkt werden, Löhne wachsen. Das Gegenteil war der Fall. Die SPD hat sich von den ärmeren, sozial benachteiligten Schichten so entkoppelt - da sind die Fäden gerissen. Die SPD hat nach elf Jahren Regierungszeit substanziell an Macht eingebüßt.
Opposition ist also - anders als der SPD-Chef Franz Müntefering sagt - gar nicht Mist für die SPD?
Die SPD muss sich in jedem Fall neu aufstellen, sie würde sich auch in einer großen Koalition neue Bündnispartner suchen und sich ganz allmählich der Linken zuwenden. Aber sicher, eine Regierung wird nie mit Stimmenzuwächsen belohnt.
Hat darum auch CDU-Kanzlerin Angela Merkel verloren oder lag es an ihrem "Nix-sagen-Wahlkampf"?
Es gibt noch einen anderen Punkt: Beide Volksparteien leben von den Rentnern. Ihnen fehlt der Nachwuchs. Das hängt damit zusammen, dass Gewerkschaften oder Kirchen - die noch in den 1970er-Jahren die Vorposten der Parteien waren, an Kraft verloren. Das ist ein gesellschaftlicher Prozess, der für SPD und Union schwer auszuhalten ist.
Und warum profitiert nun ausgerechnet die FDP?
Alle drei kleineren Parteien, auch die Grünen und die Linken, haben gewonnen. Die FDP aber besonders. Sie sagt immer, sie sei die einzige nicht sozialdemokratische Partei, und hat damit Recht. Ob Grüne, ob CDU, ob Linke - alle sind irgendwie dem Sozialstaat zugeneigt. 15 Prozent der Menschen dieser Gesellschaft sind aber genau dagegen. Das sind diejenigen, denen es um Steuersenkungen, Wettbewerb und hohe Renditen geht.
Wirtschaftskrise, Klimawandel, Politikverdrossenheit - ist da eine schwarz-gelbe Koalition gut?
Schwarz-Gelb ist die sinnloseste Koalition, die es in den letzten 50 Jahren in Deutschland gegeben hat. Das Einzige, was wir von der FDP wissen, ist, dass sie Steuern senken wollen. Und die Union sagt, das ist nicht so einfach. Wir haben eine gigantische Staatsverschuldung, Steuersenkungen sind da abstrus.
Was muss die schwarz-gelbe Regierung als Erstes tun?
Sie muss als Erstes sagen, wie groß die Lücken im Staatshaushalt tatsächlich sind und was sie dann genau tun will. Darüber wurde in den letzten Monaten überhaupt nicht gesprochen.
Erwarten Sie jetzt, dass die Armen für die Krise zahlen müssen?
Dort strebt die FDP gewiss hin. Aber in der Wählerschaft ihres künftigen Koalitionspartners befinden sich so viele "kleine Leute", dass die Union das nicht in großem Maße mitmachen kann. Sonst geht es den Christdemokraten bald wie der SPD.
Wird Angela Merkel die komplette Legislaturperiode Kanzlerin bleiben?
Es ist eine politische Kunst, ob sich jemand an der Macht hält. Aber es wird verdammt schwierig für sie. Die politischen Verhältnisse werden labiler. Und das Jahr 2011 wird das entscheidende Jahr werden.
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