Parlamentarische Eintracht: Alle gegen Roma-Klischees
Verkehrte Welt in der Bürgerschaft: Wutbürger Martin Korol will rassistische Klischees bekämpfen und die CDU fordert mehr Beratungsstellen als SPD und Grüne.
So einig waren sich gestern alle Fraktionen in der Bremischen Bürgschaft, dass sich das linke und das rechte Lager bemühte, sich vom jeweils anderen abzugrenzen. Worum ging’s? Um die Integration von EU-BürgerInnen aus Bulgarien und Rumänien – die „alle, die hier sitzen, wollen“, wie der grüne Abgeordnete Hermann Kuhn nach einstündiger Debatte feststellte.
Dies sagte er mit Blick auf den fehlenden „Bürger in Wut“ Jan Timke. Der hatte kürzlich gesagt: „Es kann nicht sein, dass die offenen Grenzen in Europa von Armutsmigranten vor allem aus Osteuropa dazu missbraucht werden, um in die Sozialsysteme anderer Mitgliedsstaaten einzuwandern.“
Sein anwesender Parteikollege Martin Korol hingegen stimmte einem Antrag von SPD und Grünen zu, in dem der Senat aufgefordert wird, „der Verbreitung und Verhärtung rassistischer Klischees entgegenzuwirken, wie sie sich insbesondere gegen Roma-Familien ausbreiten“. Wegen der Verbreitung solcher Klischees hatte die SPD ihn im vergangenen September aus der Partei ausgeschlossen.
Grüne und SPDler gaben sich gestern aber nicht weiter mit Korol ab. Stattdessen droschen sie auf die CDU ein, die einen eigenen Antrag eingebracht hatte mit dem Titel „Bremer Aktionsplan zur Integration ausländischer Roma vorlegen“.
Als Nachrücker zog der pensionierte Lehrer Martin Korol Anfang 2013 für die SPD in die Bremer Bürgerschaft ein.
Im Februar 2013 thematisierte die taz Korols antiziganistische Positionen. Der SPD-Landeschef distanziert sich unverzüglich.
Im April 2013 wird Korol nach bundesweiten Schlagzeilen von der SPD-Fraktion ausgeschlossen.
Im Juni 2013 entscheidet die Landesschiedskommission, dass seine Mitgliedsrechte für zwei Jahre ruhen sollen.
Im September 2013 beschließt die Bundesschiedskommission den Parteiausschluss.
Seit Oktober 2013 ist Korol Mitglied der rechtspopulistischen Bürger in Wut (BIW).
Mitglied der GEW ist er nach eigenen Angaben seit 1969.
In diesem fordert die CDU konkrete Hilfen, in Form von Beratungsstellen und Netzwerken – eigentlich eine originäre Aufgabe für SozialpolitikerInnen der linken Parteien, doch seitdem die CDU die evangelikale Christin Sigrid Grönert in ihre Fraktion aufnehmen musste, kümmert die sich in deren Namen recht tatkräftig um die Armen und Entrechteten.
Leicht wieder herstellen ließ sich die vertraute Rechts-Links-Ordnung, indem man sich darauf kaprizierte, dass die CDU eben nicht von BulgarInnen und RumänInnen im allgemeinen spricht, sondern von Roma. „Die ethnische Zugehörigkeit ist nicht die Ursache für deren Probleme“, klärte die SPD-Abgeordnete Valentina Tuchel ihre CDU-Kollegin auf. Und der grüne Staatsrat für Soziales, Horst Frehe,fragte, wie die Hilfen verteilt werden sollen. „Soll man erst fragen: ’Sind Sie Roma oder anderer Bulgare?‘“
Und obwohl kein CDUler das Gegenteil behauptet hatte – jedenfalls nicht gestern in der Bürgerschaft –, belehrte sie der Grüne Kuhn, dass die EU-Freizügigkeit, nach der jeder und jede sich aufhalten darf, wo es beliebt, für alle gelte. „Nicht nur für uns!“
Die CDU wiederum mäkelte an dem Senatsbericht herum, der ihr zu allgemein war und nur den Status quo beschreibt. Am Ende stimmte sie dennoch, wie alle anderen, dem rot-grünen Antrag zu, der vom Senat verlangt, die Integrationschancen der OsteuropäerInnen zu verbessern und ausbeuterischen Wohn- und Arbeitsverhältnissen entgegenzuwirken.
Nur in zwei Punkten wollten sie gegenteiliger Meinung bleiben. Die CDU will keinen Rechtsanspruch auf Teilnahme an Integrationskursen für MigrantInnen aus EU-Mitgliedstaaten. Und sie ist dagegen, dass das Bundesministerium für Gesundheit die Kosten besonderer gesundheitlicher Versorgungsmaßnahmen wie Impfungen oder Tuberkulosebehandlungen übernimmt.
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