: Paris und nicht München
„Kameradschaft — Querelle“: Ein Buch zur deutsch-französischen Filmgeschichte ■ Von Uta Schwarz
Zwei Filmplakate zieren den Einband dieser Textsammlung zur deutsch-französischen Filmgeschichte. Auf der Rückseite die Verbrüderungsgeste des Filmplakats „Kameradschaft“ von 1931, in dem G.W. Pabst euphorisch Solidarität und Pazifismus beschwor. Auf der Vorderseite das provozierende Plakat von Fassbinders Querelle, das in Frankreich wegen sexueller Agressivität verboten war. Querelle war Fassbinders letzter Film nach einer Vorlage des Franzosen Jean Genet, und „querelle“ heißt, übersetzt: Hader, Streit. Auch in der Cinematographie gab es häufig Zank zwischen dies- und jenseits des Rheins, beispielsweise um die Frage, ob die Fabrikantenbrüder Lumière das Kino erfunden haben oder die Berliner Schaustellerbrüder Skladanowsky. Daß entgegen der Erwartung, die der Einband aufbaut, im Inneren des Buches eher versöhnliche Töne angeschlagen werden, liegt vielleicht daran, daß der Sammelband aus der Zusammenarbeit der Goetheinstitute in Frankreich und der französischen Kulturinstitute in Deutschland entstanden ist. Redaktionell war dabei die Filmabteilung des Münchner Institut Francais mit ihrem Leiter Heiner Gassen federführend.
Zwei Beiträge zeichnen nach, wie sich das Bild des Deutschen im französischen Kino entwickelt hat — vom deutschen Militaristen, dem grausamen „Boche“ aus dem Ersten Weltkrieg, über Besatzung, Gefangenschaft, Réstistance und Befreiung bis zur Annäherung im Menschlich-Individuellen, etwa in dem Film Le Passage du Rhin von André Cayatte aus dem Jahre 1959, in dem Charles Aznavour die Hauptrolle spielte. Curd Jürgens verkörperte eine Zeitlang den müden deutschen Löwen, bar aller Eroberungssucht. Auch Hardy Krügers Figuren trugen ausgesprochen humane Züge. Doch das Schwergewicht des Buches liegt nicht auf den Spuren der politischen Großwetterlage. Sein Thema sind einzelne Schauspieler und Regisseure, Kritiker und Filmhistoriker, ihre Eindrücke und Erfahrungen mit dem Kino zwischen Deutschland und Frankreich. Zu Wort kommen Mitarbeiter der renommierten Filmzeitschriften 'Cahiers du Cinéma‘ und 'Positif‘, die deutschen Regisseuren wie Werner Schroeter und Hans-Jürgen Syberberg zu Ruhm und manchmal schwer nachvollziehbar kultischer Verehrung verhalfen.
Enno Patalas vom Münchner Stadtmuseum ruft jene Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg in Erinnerung, als sich die neue deutsche Filmkritik in enger Auseinandersetzung mit Frankreich zu regen begann. Es bestanden Verbindungen zwischen Instituten und Archiven, übrigens auch zur DDR, und nicht zuletzt das Lebenswerk der 1983 verstorbenen Lotte Eisner, die die Filme des deutschen Expressionismus für die Pariser Cinémathèque gerettet hat.
Bei den Filmemachern sind es die Protagonisten des neuen deutschen Films, Volker Schlöndorff, Hanna Schygulla und Rainer Werner Fassbinder, für die die Beziehung zu Frankreich bedeutsam geworden ist. Im gewissem Sinne zählen dazu auch Frauenfilmerinnen wie Ula Stöckl und Jutta Brückner, die auf dem Internationalen Frauenfilmfestival in Crèteil alljährlich ein Forum finden, das ihnen die Heimat nicht bietet.
Der Erfolg des deutschen Films in Frankreich ist in erster Linie ein Kritikererfolg, und wenn böse Zungen behaupten, daß in Frankreich „der ankommt, der in die eigene Suppe spuckt“, wie Herausgeberin Heike Hurst salopp nebenbei bemerkt, dann ist zumindest in diesem Buch nichts davon zu spüren. Der Mythos der deutschen-französischen Feind- und Bruderschaft ist in dieser Generation zumindet auf deutscher Seite einer sehr pragmatischen Einstellung gewichen. Fassbinders Aufenthalte in Paris galten, wie Yann Ladeau in seinem Beitrag ausführt, nicht der Stadt und den Franzosen, Paris war lediglich ein Ort des Rückzugs aus der deutschen Realität, ohne spezielle Bedeutung; Paris war gleich und anders, Metropole und nicht München. Volker Schlöndorff erinnert daran, daß Paris bis vor wenigen Jahren das Sprungbrett für deutsche Filmemacher zur internationalen Anerkennung war — damals, als New York und Hollywood noch zu weit weg, zu teuer waren.
Weiter zurück in der Vergangenheit, bei der Machtübernahme der Nationalsozialisten, haben hier die Großen des deutschen Films Aufnahme gefunden: Fritz Lang und Robert Siodmak, G.W. Pabst und Max Ophüls, der 1934 im französischen Exil seinen Werther drehte. Die entscheidenden künstlerischen Impulse gingen von den oft vergessenen Kameraleuten und Beleuchtern aus: von Erich Schüfftan (dem Lehrer von Henri Alekan, der das Licht zu Wenders' Himmel über Berlin gemacht hat), heißt es, er habe mit seinem „deutschen“ Licht, mit einer visuellen Licht- und Schattensprache, das theatralische Schauspielerkino Frankreichs nachhaltig beeinflußt.
Französische Filmhistoriker rücken die gerne gerühmte Rolle Frankreichs als Zuflucht für politisch Verfolgte zurecht. Sie weisen auf die tiefverwurzelte Abneigung gegen alles Fremde und gegen Juden hin, gerade in der französischen Filmbranche der dreißiger Jahre. Die krisengeschüttelten Traumfabriken boten damals wenig soziale Sicherheit, und wegen des technischen Rückstandes Frankreichs in der Anfangsphase des Tonfilms wurden in französischen Studios amerikanische und deutsche Ingenieure bevorzugt. Vor diesem Hintergrund konnte sich die finanzkräftige UFA-Tochter ACE schnell breitmachen und wichtige französische Filme produzieren, ohne jede Zensur übrigens, denn ideologisch war man nicht sehr weit voneinander entfernt. Die Zusammenarbeit für die legendären Varieté-Filme der dreißiger Jahre, die in jeweils einer deutschen und einer französischen Fassung in den Babelsberger UFA- Studios gedreht wurden, dauerte bis 1939. Um das gute Verhältnis zur Nazi-Filmindustrie nicht zu stören, war so macher deutscher Filmschaffende im französischen Exil zum Stillhalten verurteilt. Und dann fällt auch das Wort von der Kollaboration, die man Fernandel, Raimu, Jean Gabin und Danielle Darrieux bis heute übelnimmt, auch weil dadurch die vollständige kommerzielle Unterwerfung der Filmbranche während der Besatzung erleichtert wurde. Eine verlorene Schlacht bescheinigt der Historiker Christian Delage den Franzosen auch bei der Filmpropaganda in den Wochenschauen, die die deutschen Besatzer meisterhaft beherrschten, während sich Vichy mit dem Rundfunk begnügte.
Heike Hurst aus Paris hat Autoren bevorzugt, die, wie sie sagt, „eine große Liebe zum Kino haben, ohne unbedingt eine Theorie zu verteidigen“. In der Tat liegen Welten zwischen Sybille Penkerts Analyse von Schlöndorffs Marcel Proust-Verfilmung Eine Liebe von Swann und dem Beitrag von Francoise Audê über Romy Schneider und die zärtliche Adoption, die ihr, der „Deutschen“, in Frankreich zuteil wurde. Sybille Penkert will prägnant sein, ohne Bilder, und treibt ihre Sprache in die kleinsten psychologischen Verzweigungen. Francoise Audê dagegen schwärmt, schwärmt von der Stimmigkeit zwischen Romy Schneider und ihrem französischen Publikum wie von einem unbeabsichtigt glücklichen Zusammentreffen, einem Wunder, einer Sternstunde. Das ist es, was Enno Patalas die „Offenheit beim Schreiben“ nennt, das Ernstnehmen der eigenen Empfindung. Und seine Kritikerkollegin Frieda Grafe formuliert daraus ihr Ideal vom Schreiben überhaupt: perfekt sein in einer Theorie und dann ganz subjektiv für die Zeitung schreiben, schnell, für den täglichen Gebrauch. Was ist dies anderes als der Wunsch nach Versöhnung zwischen der Verbindlichkeit des verbalen Diskurses und der Entfaltung flüchtiger Bilder und Empfindungen — ein, wie das Buch zeigt, produktiver und allgegenwärtiger Widerspruch, in dem sich deutsche und französische Mentalitäten spiegeln.
Der Titel der französischen Ausgabe im Pariser Verlag L'Harmattan lautet übrigens Tendres ennemies — zärtliche Feinde. Eleganter als das eher männerbündische Kameradschaft — Querelle.
Kameradschaft — Querelle. Kino zwischen Deutschland und Frankreich. München, Institut Francais de Munich/CICIM Juni 1991, ca. 330 Seiten, 35 DM
Französische Ausgabe: Tendres ennemies. Cents ans de Cinéma entre la France et l'Allemagne. Paris (L'Harmattan), November 1991, Preis: 170 FF
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