■ Paris, Köln, Schanghai: Der Beaujolais Noveau ist da: Mit Wippschritten um den runden Tisch
Paris (taz) – Er ist unfertig, schmeckt nach englischem Bonbon und hinterläßt schon nach mittlerem Konsum einen dicken Kopf. Trotzdem hat er binnen weniger Jahre zu einer internationalen Karriere abgehoben. Wenn der „Beaujolais Primeur“ genannte Wein ankommt, drängeln sich die Kunden bereits vor dem Tresen. Selbst in Ländern wie Frankreich, wo Alkoholwerbung per Gesetz verboten ist, weiß man Bescheid: Am dritten Donnerstag im November ist offizielles Begrüßungsbesäufnis. Das war gestern abend nicht anders als in den Vorjahren. In Frankreich setzten die Freunde des Beaujolais ihre Strohhüte auf, hängten die flache silbrige Probiertasse um den Hals und zogen in eines der mit rotweißkarierten Tischdecken geschmückten Lokale, die in den letzten Jahren wieder in Mode gekommen sind. Bei den ersten paar Gläsern diskutierten sie noch Aroma, Taningehalt und Nachklang. Anschließend tanzten sie in kleinen Wippschritten Musette. Später sangen sie Sauflieder à la „Chevaliers de la table ronde“, bei denen sich ein jeder mit „fünf bis sechs Flaschen auf dem Tisch“ und „einer Frau auf den Knien“ beschreibt. Und als es selbst dazu nicht mehr reichte, hoben sie die Arme, drehten die Hände in dem Luftraum über dem Kopf und stimmten das traditionelle Lied der Beaujolaiser Winzer an mit dem unvergeßlichen Text: „La, la, la, la.“
Der „Beaujolais Primeur“ oder „Beaujolais Nouveau“ ist eine Erfolgsgeschichte, mit in diesem Jahr 55 Millionen beteiligten Flaschen, die gestern zeitgleich in Bogota, Schanghai und Köln ankamen. Ursprünglich war das Phänomen auf die enge Herkunftsregion in der südlichen Bourgogne begrenzt, wo Winzer den „Primeur“ tranken und ein paar Wochenendbesucher aus der Nachbarstadt Lyon nach Allerheiligenausflügen ein Faß mit zurücknahmen. Der Rest der Welt kannte allenfalls die zwölf AOC- Weine der Region, die frühestens ab dem 15. Dezember verkauft werden dürfen. Auf die geniale Idee, unfertigen Wein weltweit zu vermarkten, kamen die Beaujolais-Winzer erst in den späten 70er Jahren, als sich die internationale Konkurrenz auf dem Markt für leichte rote Weine zuspitzte.
Der Trick funktionierte. Heute macht der „Primeur“-Verkauf ein Drittel des Beaujolais-Absatzes insgesamt aus und hat die etwas teureren, aber entschieden gehaltvolleren Lagenweine der Region in den Hintergrund verdrängt. Dank des geschickten Marketings ist der „Primeur“ nicht nur zum Symbol einer Region, sondern zum Botschafter des französischen Weins schlechthin geworden. Die Winzer des übrigen Frankreich, die einst die Nase über den Beaujolais rümpften, beobachten dessen Erfolg mit gemischten Gefühlen. Viele haben in seinem Windschatten versucht, nachzuziehen und „Primeurs“ aus Touraine, Gamay und Cotes du Rhone auf den Markt gebracht. Aber die Kunden haben sich nun einmal auf den Beaujolais eingelassen und sind nicht bereit, anderen französischen Roten Feten auszurichten.
In diesem Jahr hat sich ihre Treue zu dem seltsamen Ritual des Begrüßungsbesäufnis auch aus qualitativen Gründen gelohnt. Nicht etwa, weil die Händler mitteilen, der „Beaujolais Primeur“ sei „besonders exzellent“ geraten. Das ist schließlich ihr Geschäft. Sondern vor allem, weil er in einem Jahrhundertsommer reifte, der so trocken, warm und sonnig war, daß die Lese im Beaujolais schon am 30. August beginnen konnte, statt wie üblich um den 10. September herum. Damit hatte erstmals auch der „Primeur“ ein bißchen länger Zeit, um vom englischen Bonbon zum Wein zu reifen. Dorothea Hahn
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