■ Paragraph 116 AFG vor dem Bundesverfassungsgericht: Ein Rückzug wäre souverän
So hätten wir die Gewerkschaft geliebt: erst einen sauberen Streik hinlegen und dann den ArbeitgeberInnen und der Öffentlichkeit noch ein Zeichen eigener Stärke präsentieren. Die IG Metall hätte gestern in Karlsruhe ihre Verfassungsbeschwerde gegen die gewerkschaftsfeindliche Novellierung des Paragraphen 116 AFG einfach zurückziehen sollen. Denn daß die Streikfähigkeit der Gewerkschaften heute verloren ist, kann nach inzwischen fast zehn Jahren Geltung der angegriffenen Bestimmung und insbesondere nach dem erfolgreichen bayerischen Streikergebnis in diesem Jahr ernsthaft niemand mehr behaupten.
Warum also sich eine rechtlich absehbare Niederlage einhandeln, wenn auch ein Zeichen der Stärke möglich gewesen wäre? Eine selbstbewußt freche Gewerkschaft wäre das gewesen. Schließlich war der Streikerfolg der bayerischen IG Metall kein Zufall, sondern Ergebnis erfolgreicher strategischer Überlegungen. Mit Hilfe einer computergestützten Datenbank über die Lieferbeziehungen der bayerischen Metallunternehmen gelang es der Gewerkschaft, ihren Streik so zu planen, daß der Paragraph 116 AFG seine streikhemmende Wirkung nicht entfalten konnte. Auch konnte sich die Gewerkschaft gezielt auf diejenigen Maschinenbauunternehmen konzentrieren, die wegen ihrer Exportabhängigkeit für einen Streik am anfälligsten waren.
Damit hat die Gewerkschaft doch eindrucksvoll gezeigt, daß sie sich von den Versuchen einer konservativen Bundesregierung, die „Kampfparität“ zugunsten der ArbeitgeberInnen zu verschieben, nicht demoralisieren ließ. Aber statt mit diesem Erfolg ihrerseits die Bundesregierung zu demoralisieren, beklagt Klaus Zwickel, daß er durch den neuen Paragraphen 116 AFG in der Auswahl möglicher Strategien beschränkt werde und ihm dabei eine (immerhin recht erfolgreiche) Streiktaktik aufgezwungen wurde. Sogar um die armen bayerischen Maschinenbauunternehmen, die nun jedesmal bestreikt werden müßten, sorgte sich Zwickel in Verkennung seiner Rolle als Gewerkschaftschef. Sollen doch die Unternehmen selbst Verfassungsbeschwerde einlegen, mochte man ihm zurufen.
Sollte es wirklich einmal zum gewerkschaftlichen Notstand kommen, müssen die Gewerkschaften so oder so die Gerichte anrufen. Bis dahin allerdings wird vielleicht die SPD Juniorpartnerin einer großen Koalition geworden sein und als einen von wenigen Verhandlungserfolgen die Rückkehr zum alten Paragraphen 116 AFG präsentiert haben. Immerhin schafft das Prestige und kostet nicht viel. Außerdem – aber das nur am Rande – ist es auch der richtige Weg, ein ärgerliches Gesetz zu beseitigen. Christian Rath
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