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Archiv-Artikel

Paradoxe Konstruktionen: Kiron Khosla

Was betrachten wir nun als oben oder unten? Darüber mussten wir uns beim Layout der Bilder für unsere Literaturbeilage zunächst einmal verständigen. Eine ungewohnte, denkwürdige Situation. Denn erst neuerdings findet sich in Kiron Khoslas Gemälden ein Horizont. „Die Jagd. Self Portraits and Other Wild Flowers“ heißt die Ausstellung in der Berliner Galerie Christian Nagel, die diese Entwicklung dokumentiert. Zuvor aber ignorierte der 1967 in Kalkutta geborene, an der Central St. Martins School of Art and Design ausgebildete Künstler, der inzwischen seit zehn Jahren Kölner ist, souverän die für unsere abendländische Bildtradition so maßgebliche Ordnung des Raums. Und das in Bildern, die keinesfalls abstrakt sind, sondern in wirklichkeitsgetreuer Manier fein und sorgfältig gemalte Figuren zeigen. Nur sehen wir sie eben nicht in dem von uns erwarteten, illusionären Raum. Wir sehen sie auf der flachen Ebene der Leinwand.

Kiron Khosla verfügt in seiner Malerei nicht nur über die europäische Ressourcen, die in einer Vielzahl von Zitaten – angefangen bei mittelalterlichen illuminierten Handschriften über Renaissancegemälde bis zu den Heroen der Moderne – aufscheinen. Er verfügt gleichermaßen über die Kunsttradition seines Geburtslandes Indien, einer Kunst, in der Götter und Reiterheere ohne weiteres wie einzelne Wolken über die Bildfläche dahinziehen und Schriftzeichen jederzeit die Malerei durchdringen können. Sein Reichtum an Quellen ermöglicht Khosla das Spiel mit den Optionen der Fläche. Und dabei scheint sehr wahrscheinlich, dass dieses Spiel seinen Grund darin hat, dass Khosla, der seine Kindheit in Indien und seine Jugend in Großbritannien verbrachte, sich zum Zen-Buddhismus bekennt.

Paradoxe Konstruktionen sind für ihn ein Leichtes. Und die Antwort auf eine Frage kann für ihn durchaus eine neue Frage sein. Wie kann man heute malen?, ist so eine Frage, auf die Kiron Khosla antwortet: Vielleicht auf Goldgrund? Also mit all der Freiheit, die man sich zu nehmen getraut. Und diese Freiheit findet sich bei ihm im Detail. In den einzelnen Bildausschnitten, die die Kunstgeschichte Europas und Asiens in seine Gemälde tragen, freilich mit der klaren Absicht, eben keine Geschichte zu erzählen. So literarisch sein Werk auf den ersten Blick anmutet, so deutlich erweist es sich als die reine, perfekte Oberfläche beim zweiten. Und das ist nun erneut eine provozierende Wendung gegen unsere gängigen Erwartungen. BRIGITTE WERNEBURG