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Archiv-Artikel

Paradiesisches vom Balkon

Reformagenda 20/03 – Teil 2: Der Kanzler weiß, wie’s geht: „Dolce vita“ in Hannover? Kein Problem. Selbst angebaute Tomaten schmecken besser als italienische Importware – hört man auf Katrin Kell

Interview ANJA MAIER

taz: Frau Kell, welche Tomaten schmecken besser – biologisch oder konventionell angebaute?

Katrin Kell: Wir machen hier in unseren Besuchergärten manchmal Publikumsbefragungen. Da haben wir auch schon erlebt, dass Biotomaten deutlich schlechter abgeschnitten haben.

Warum?

Der Geschmack einer Tomate hängt stark vom Zeitpunkt ihrer Ernte ab. Außerdem hat das Thüringer Institut für Gemüse und Zierpflanzenbau herausgefunden, dass es bei den Verbrauchern unterschiedliche Vorstellungen von einer guten Tomate gibt. Sie lassen sich in drei Gruppen zusammenfassen. Die Anbauweise ist also sekundär.

Welche Geschmacksrichtungen sind das?

Den einen ist es wichtig, dass die Tomaten nicht bitter schmecken und makellos sind, andere wollen diesen typischen süßen, fruchtigen Geschmack, und wieder andere mögen milde und pralle, gut schneidbare Früchte, etwa für Salat. Da gibt es natürlich umfangreiche Untersuchungen. Aber wir hier im Bereich Gemüseanbau beschäftigen uns eher mit den Pflanzen als den Verbrauchern.

Welche Sorten empfehlen Sie?

Es gibt etwa 1.800 EU-rechtlich zugelassene Sorten, da fällt die Auswahl schwer. Die Leute wollen ja Ertrag und Geschmack. Im urbanen Bereich, also für Balkone und kleine Terrassen, würde ich selbstverständlich kompakt und buschig wachsende Balkontomaten empfehlen. Wer Platz für einen großen Kübel hat, kann es auch mit den normalen Hellfrucht- und Cocktailtomaten versuchen. Bei den normalen Hellfrucht-Tomaten sind Sorten wie Diplom, Hildares, Pannovy, Vanessa, Gourmet oder Culina zu empfehlen. Bei den Cocktailtomaten Campari, Dolce Vita, die gelbe Goldita oder die pflaumenförmige Flavorino.

Stichwort Krankheiten. Mit der einsetzenden Erntezeit beginnt jetzt auch die Kraut- und Braunfäule. Die Tomaten überziehen sich mit hässlichen Flecken und sind nicht mehr essbar. Viele Subsistenzgärtner verzweifeln daran. Was kann man tun?

Ich sage immer: Vorsorgen. Am besten ist ein Regendach, das man mit Stangen und einer Plane über der Pflanze errichtet.

Das ist nicht sehr sinnlich …

… aber die einzig sinnvolle Maßnahme. Man muss sich entscheiden, ob man Tomaten ernten oder ihren Anblick genießen möchte. Die Braunfäule ist ein Pilz namens Phytophthora infestans, die Sporen sind meist schon im Boden vorhanden. Da der Pilz sich nur auf feuchten Blättern entwickeln kann, sollte man zwar den Boden und den Wurzelbereich feucht halten. Aber die Blätter müssen trocken bleiben!

Das wird aber schwierig, wenn es zum Beispiel zwei Wochen regnet.

Na ja, eine Pflanze ganz trocken zu halten ist natürlich fast unmöglich – schon wegen der Schwitzwasserbildung im Morgengrauen. Wenn es lange regnet, hat man eh schlechte Karten. Aber man sollte es zumindest versuchen. Es kann schon helfen, den Kübel an die Hauswand zu ziehen. Da steht er geschützter.

Wenn es trotz aller Bemühungen zum Äußersten kommt und die Tomaten Braunfäule haben – was kann ich tun?

Nichts. Sie ernten die letzten nicht befallenen Früchte ab und schmeißen die Pflanze weg.

Lohnt es sich bei derart schlechten Prognosen denn überhaupt noch, seine eigenen Tomaten zu ziehen?

Aber natürlich! Das ist ja nicht nur eine Frage der Erträge. Gärtnern an sich ist eine Freude. Ich habe auch einen kleinen Garten, der zwar schattig ist, aber einen sonnigen Balkon, der zugegebenerweise hauptsächlich mit Blumen bestückt wird. Aber ein bisserl Gemüse ist auch immer mit dabei. Tomaten sind hier schon gediehen. Letztes Jahr waren Zuckermelonen an der Reihe, dieses Jahr habe ich Einlegegurken.