Pandemie und Abzocke : Keine Staatshilfe für Aktionäre!
In der Pandemie verwandeln Konzerne öffentliches Hilfsgeld in Gewinn-Maximierung. Schlimm, aber das ist im Kapitalismus halt so? Nein, es geht anders, wenn die Politik sich das traut.
Von UDO KNAPP
Während das Freiheits-Geschrei der Coronaleugner immer lauter wird und die Ministerpräsidenten den Föderalismus zu einem opportunistischen Meckerclub zurückentwickelt haben, gerät die Selbstbereicherung im nicht hinreichend eingehegten Kapitalismus aus dem Blick, die sich auch in der Pandemie vollzieht. Drei Beispiele.
Daimler Benz schüttet für 2020 an seine Anteilseigner 1,44 Milliarden Euro an Dividenden aus. Das sind 50 Prozent mehr als 2019. Zeitgleich schickt der Konzern Tausende seiner Mitarbeiter in die Kurzarbeit (60 bis 80 Prozent vom Netto-Gehalt), die mit nicht rückzahlungspflichtigen 700 Millionen Euro von der Agentur für Arbeit mitfinanziert wird. Mit anderen Worten: Öffentliche Mittel zur Linderung der negativen Pandemiefolgen werden in Extra-Gewinne für die Aktionäre verwandelt.
Fresenius, durch die Privatisierung der vormals öffentlichen Krankenhäuser der Bundesrepublik in den letzten zwanzig Jahren zum größten europäischen Gesundheitskonzern aufgestiegen, hat seine Dividende in 2020 gegenüber 2019 um 40 Millionen Euro erhöht. Fresenius erhält neben Kurzarbeitergeld in einigen Sparten 800 Euro pro Tag für jedes wegen der Corona-Belastung leerstehende Bett. Sicher haben auch die Krankenhäuser des Fresenius-Konzerns coronabedingte Liquiditätsprobleme, aber auch Fresenius finanziert mit den öffentlichen Corona-Hilfen die Dividendenerhöhung seiner Anteilseigner.
Hilfsgelder werden zur privaten Gewinnmaximierung eingesetzt
Einzelhändler, Gastronomen und Büromieter, deren Betriebe wegen der Pandemie still gestellt sind, sind gezwungen, ihren Vermietern Monat für Monat die volle Miete für ihre Geschäftsräume zu zahlen. Trotz vieler Bitten der Bundesregierung sind die Vermieter ihren Mietern hier nicht entgegengekommen. Mit der Folge, „dass Teile der vom Staat zum Erhalt dieser Betriebe gezahlten Überbrückungshilfen direkt an Investoren, Pensionsfonds und Privatvermieter weitergereicht worden sind“, wie Michael Fabricius und Stephan Maaß in der Welt treffend schreiben.
In allen drei Fällen hätten die Zuständigen der Bundesregierung die legale Möglichkeit gehabt, vor vorneherein den gegenüber der Gesamtgesellschaft nicht zu vertretenden Einsatz der öffentlichen Hilfsgelder für private Gewinnmaximierung auszuschließen.
So hätte der Bezug von Kurzarbeitergeld so geregelt werden können, dass sein Gebrauch für bilanzaufbessernde Maßnahmen grundsätzlich ausgeschlossen wäre.
So hätte der Bezug von Ausfallgeld für leerstehende Betten in den Kliniken zuerst an den hälftigen Gebrauch von Kapitalrücklagen der Eigentümer geknüpft werden können.
Eine fairere Verteilung der Pandemie-Lasten ist möglich
So hätte die Bundesregierung durch eine gesetzliche Klarstellung im „§ 313 Absatz 1 BGB die Corona-Pandemie als Störung der Geschäftsgrundlage einordnen können, in deren Folge eine hälftige Aufteilung der Kostenlast der Mieten zwischen Mieter und Vermieter gerechtfertigt wäre“. Das schrieb das OLG Dresden in einem kürzlich gefassten Beschluss.
Vermutlich hätten viele Betriebe unter solchen oder ähnlichen Voraussetzungen die Staatshilfen erst gar nicht in Anspruch genommen und sich stattdessen freiwillig in eine Lastenteilung der Corona-Folgen gefügt. Warum die Regierung stattdessen Mitnahme-Optionen für Krisengewinnler eingerichtet hat, ist nicht nachvollziehbar.
Dass in Großkrisen wie der Pandemie das Lastentragen abhängig von der sozialen Stellung ungleich verteilt ist und die Ungleichheiten sich sogar noch vertiefen, ist eine banale Tatsache. So funktioniert eben Kapitalismus, worüber wird sich hier aufgeregt? Es wird sich aufgeregt, weil es auch systemimmanent anders geht.
Zu einer faireren Verteilung der finanziellen Pandemie-Lasten könnten folgende Ideen diskutiert werden: Gewinne von Unternehmen, die durch Unterstützungsleistungen des Staates entstehen, müssen immer zur Finanzierung des Gemeinwesens beitragen. Um diesen Grundsatz zu erfüllen, könnte der Steuersatz bei der Körperschaftsteuer für an Aktionäre ausgeschüttete Gewinne von derzeit 15 deutlich auf 35 Prozent erhöht werden. Die Gewinne, die im Unternehmen verbleiben, um das Eigenkapital zu stärken (Thesaurierung) werden weiterhin mit dem Satz von 15 Prozent versteuert. Die, je nach Gewinnverwendung, unterschiedliche Besteuerung bei der Körperschaftsteuer in Deutschland gab es bis zum Jahr 2000 schon einmal. Zu prüfen wäre, ob und in welcher Höhe die erhöhte Steuerlast bei der Körperschaftsteuer auf ausgeschüttete Dividenden bei der Einkommensteuer der Aktionäre anzurechnen ist.
Finanzpolitik im Kapitalismus muss keine verlogene Zahlendreherei der Reichen und ihrer Interessenvertreter sein
Ein ähnliches Modell ist bei der Einkommensteuer vorstellbar und zwar bei der Veranlagung der Gewinne, die bei der Einkunftsart „Vermietung und Verpachtung“ entstehen. Diese Gewinne müssten einem höheren Tarif unterliegen. Für die Immobilieneigentümer werden bei diesem Modell nur die Gewinne besteuert. Denn die Kosten für die Immobilie sind bei der Gewinnberechnung berücksichtigt, so dass rechnerisch nur der Gewinnanteil belastet wird, der durch die Hilfsmaßnahmen des Staates entsteht. Es würde für den Eigentümer ein Anreiz geschaffen, die Mieten zu senken und das Risiko mit seinen Mietern zumindest vorübergehend zu teilen.
Beide Vorschläge zeigen, dass es möglich ist, Steuer- und Finanzpolitik so zu gestalten, dass eine zumutbare, wenn auch beileibe keine gerechte Lastenverteilung für die Corona-Krisenbewältigung und gesellschaftliche Zukunftsaufgaben möglich wird, wenn dazu der politische Wille vorhanden ist.
Finanzpolitik muss im Kapitalismus eben keine verlogene Zahlendreherei der Reichen und ihrer Interessenvertreter sein. Sie kann das entscheidende Instrument zur Steuerung gesellschaftlicher Entwicklung sein. Amerikas Präsident Joe Biden, New Yorks Gouverneur Andrew Cuomo, die neue Finanzministerin Janet Yellen und die Demokraten führen gerade vor, wie das funktionieren kann. Sie haben detaillierte Zukunfts-, Investitions- und Gerechtigkeitsprogramme vorgelegt, erhöhen zu deren Finanzierung die Einkommensteuern, abhängig von der Höhe der Einkommen, auf bis zu 60 Prozent und treiben die Einführung einer weltweit, völkerrechtlich verbindlichen Unternehmensbesteuerung von mindestens 21 Prozent voran.
UDO KNAPP ist Politologe.