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■ Pampuchs TagebuchDie Macht des Gockels

Auf die Gefahr hin, daß manche denken, ich werde von AOL gesponsert – nichts ist falscher, ich kriege gerade mal den popligen Journalistenrabatt –: erneut ein paar Worte zu diesem meinem Provider. Gestern habe ich den ohne Zweifel von AOL gesponserten Film „e-m@il für dich“ gesehen. Wenn er auch nicht so gut ist wie Lubitschs Original, so ist er doch ein lustiges New-York-Stückchen geworden. E-Mail-Verhältnisse können sich in der Tat zu neuen elektronischen Beziehungskistchen auswachsen, viel Freude und Leid spenden und sind daher allemal eine Filmkomödie wert.

Für die Freude ist man selbst verantwortlich, für das Leid nicht selten AOL. Vorgestern nämlich habe ich mein neues AOL 4.0 geladen. Meine Testergebnisse sind deshalb noch nicht endgültig, aber seit es E-Mail gibt, leben wir ja, kulturhistorisch gesehen, endgültig in der Zeit des Schnellschusses. Wenn AOL so flink mit den Updates rauskommt, dürfen sie sich nicht wundern, wenn wir genauso hastig zurückmosern.

Auf die Frage „Warum machen die das eigentlich, andauernd mit neuer Gratis-Software rauszukommen?“ wußte der Redakteur dieser Seite auch keine rechte Antwort. Wir einigten uns darauf, daß sie gewiß mit der Telekom unter einer Decke stecken. Man ist ja schlechterdings gezwungen, deren Dienste immer mehr in Anspruch zu nehmen. Nicht nur beim Surfen, sondern allein schon, um die AOL- Hotline zu konsultieren, wenn man wieder neu installieren will. Es hat mich über zehn Mark Telefongebühren gekostet, bis es halbwegs lief, was weniger der Ausführlichkeit der Beratung geschuldet war als diesem saudummen Drücken-Sie-1-wenn- Sie-2-wenn-Sie-und-so-weiter- Sermon und endlosen, mit Musik untermalten Warteschleifen. Von wegen „mit wenigen Mausklicks installieren“, wie es das der CD beigelegte „Sonderheft AOL 4.0“ verheißt.

Die neue Oberfläche ist vor allem noch bunter. Außerdem kommen Homebanking, ein paar Lexika und verschiedene Chatlines dazu, so, als habe sie AOL persönlich erfunden. Und man kann jetzt „aus einer schmucklosen eMail mit wenigen Mausklicks“ – da schwante mir schon was – „eine echte Multimedia- Botschaft machen“. Also habe ich – mit etwa 43 Mausklicks – eine schön greislich-bunte Botschaft an meine Haidhausner Meg Ryan zusammengebastelt. In sieben verschiedenen Schrifttypen – vor allem in „Matura MT Script“, das erinnert fast an „Shakespeare in Love“. Auf grellblauem Hintergrund mit einem Foto von Fußspuren im Sand. Dazu habe ich noch einen Hahnenschrei, eine Fanfare und eine miauende Katze beigefügt, die ich mir nach langem Probehören aus den „Extras“ ausgewählt hatte. Der literarische Wert meiner AOL-designten Botschaft war dagegen eher mäßig, aber in so einem Fall vertraut man auf die Macht des Gockels. Das hätte Tom Hanks in dem Film auch gemacht, aber der mußte ja noch mit AOL3.0 arbeiten.

Die Antwort war niederschmetternd: „Nix bunt, keine Bilder und Symbole...“ stand da in der lieb vertrauten Arialtype, „Ich muß leider sagen, daß auf meinem Bildschirm nur zwei Reihen mit sinnlos aneinandergereihten Buchstaben und Zahlen zu sehen sind.“ Wer nicht bei AOL ist, wird ausgegrenzt. Der Kampf der Netzherrscherhäuser tritt in eine neue Phase. Dramen zeichnen sich ab: AOL-Montague gegen Capulet.dot.com. Wer wissen will, wie es ausgeht, kann unter „AOL/Wissen“ die „Complete Works of Will“

(www-tech.mit.edu/Shake speare/)

aufrufen: „For never was a story of more woe, Than this of AOL and its Four O.“ Thomas Pampuch

ThoPampuch@aol.com

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