piwik no script img

Paare Feind der Liebe ist nicht der Rivale, sondern der Egoist. Wo kreative Paare zusammen- und gegeneinander arbeiten, wird manchmal Kunstgeschichte geschriebenÖffentlich gelebte Intimität

Marina Abramović und Ulay, in: „Rhythm 5“, Performance, Belgrad, 1974 Foto: Nebojša Čanković/Courtesy of the Marina Abramović Archives

von Johanna Schmeller

August 1929, es ist ein heißer Tag, als der bullige Starmaler Diego Rivera seine 22-jährige Schülerin Frieda Kahlo zur Frau nimmt. Mit 42 Jahren ist er der berühmteste Künstler Mexikos. Ihre Liebe ist schicksalhaft: Eine Trambahn rammt den Bus, in dem Kahlo sitzt. Eine Metallstange zertrümmert ihr Rückgrat, durchbohrt ihren Unterleib. Aus Langeweile beginnt sie im Gipskorsett zu zeichnen – und bittet den späteren Gatten um ehrliche professionelle Kritik. Die Spätfolgen ihrer Verletzungen werfen sie immer wieder zurück aufs Krankenlager, auf Selbstporträts, blutige Fantasieszenen ihrer schmerzhaften Fehlgeburten – und auf die Unterstützung eines Mannes, der sie einerseits brutal betrügt, andererseits glühend verehrt und der ihr heute an Bekanntheit deutlich nachsteht.

An diese und einige weitere Künstlerlieben erinnert derzeit eine kleine Schau im Bonner Frauenmuseum. Neben Frida Kahlo und Diego Rivera werden Auguste Rodin und Camille Claudel genannt, Clara und Robert Schumann, Françoise Gilot und Pablo Picasso, Christo und Jeanne-Claude. Mehrere Stockwerke voll von Installationen, Texten und Gemälden würde es allerdings brauchen, um wirklich fassbar zu machen, was passiert, wenn Leidenschaft, Partnerschaft und Inspiration auf­ein­anderprallen. Gabriele Münter und Wassily Kandinsky, Sonia und Robert Delaunay, Georgia O’Keeffe und Alfred Stieglitz, Sylvia Plath und Ted Hughes, Yoko Ono und John Lennon, Joan Baez und Bob Dylan, Siri Hustvedt und Paul Auster – die Liste wäre lang.

„Keine Liebe ist originell“, schreibt der französische Philosoph Roland Barthes in „Fragmente einer Sprache der Liebe“. Liebesbeziehungen unter Kreativen bleiben dennoch interessant. Zum einen werden flüchtige, aber extreme Gefühle – Leidenschaft, Hass, Eifersucht, Rivalität – dauerhaft in eine Form überführt, in Prosa, Lyrik, Malerei, Musik. Und dies überdauert nicht nur die Empfindung, sondern auch die Schöpfer selbst und weitere Generationen. Produktiv genutzte Leidenschaft besiegt die zeitliche Endlichkeit der Emotion. Aus individuellem Gefühl wird kollektives Gut, aus Auseinandersetzung Kunstgeschichte.

Zuschauen ist erlaubt

Zum anderen finden Kreative eine eigene Sprache, die den Betrachter zwar nicht einbezieht, ihn dafür aber ordentlich mitnimmt. Das Produkt eines künstlerischen Dialogs hat einen Adressaten – nicht den Museumsbesucher, nicht den Leser oder Hörer, sondern den Counterpart. Aus einer allgemein vertrauten Empfindung konstruieren Künstlerpaare eine eigene, öffentlich gelebte Intimität. Zuschauen ist erlaubt, mitmachen unmöglich. Die Realität wird nicht mehr durch die Weltsicht eines einzelnen Künstlers gefiltert, sondern durch zwei Visionen derselben Emotion.

Paare in Theorie und Kunst

„Paare in der Kunst“ (Teil der Schau „Katharina von Bora – von der Pfarrfrau zur Bischöfin“), bis 1. 11. 2017, Frauenmuseum, Bonn.

Marina Abramović, „The Cleaner“, bis 22. 9. 2017, Loui­sia­na Museum of Modern Art, Humlebæk.

Marina Abramović, „The Cleaner“, Hatje Cantz, 2017. 280 Seiten, 39,80 Euro.

Alain Badiou, „Lob der Liebe“, Passagen-Verlag, 2015. 88 Seiten, 12,20 Euro.

„Wer ist Oda Jaune?“, Dokumentarfilm, Deutschland 2016.

Siri Husvedt, „Being a man“, Rowohlt, 2015. 190 Seiten, 12,99 Euro.

Julia Kristeva, „Geschichten von der Liebe“, Suhrkamp, 2016. 406 Seiten, 16 Euro.

„Das Universelle (…) ist, dass jede Liebe eine neue Wahr­heits­erfahrung darüber anbietet, was es bedeutet, zu zweit und nicht einer zu sein“, erklärt der in Marokko geborene Philosoph Alain Badiou in „Eloge de l’Amour“. „Jede Liebe liefert uns einen neuen Beweis dafür, dass man der Welt anders als durch ein einsames Bewusstsein begegnen und sie anders erfahren kann.“ Menschliche Einsamkeit wird aufgelöst. Durch ein Gedicht, schreibt Mallarmé, wird der Zufall einer Begegnung fixiert.

Harmonie herrscht, wo gemeinsam dasselbe künstlerische Ziel verfolgt wird – etwa bei Verhüllungskünstler Christo und Organisationsperfektionistin Jeanne-Claude. Auch nach ihrem Tod 2009 spricht Christo immer noch von „wir“, wenn es um seine Kunst geht.

In der ehrlichen Auseinandersetzung mit dem Partner mischen sich innerlich verschiedene Stimmen. Die Autorin Siri Hustvedt schreibt in „Being a man“ über ihren Schaffensprozess: „Ich hörte einen Mann. Es ist unerklärlich, woher er kam, aber ich bin überzeugt, dass ich ihn aus der Erfahrung bezog, den Männern zuzuhören, die ich geliebt habe und liebe.“ Sie nennt ihren Vater und ihren Ehemann, den Schriftsteller Paul Auster. Die Abwesenheit des Körpers beim Schreiben mache jede Buchseite zu einem „Ort, an dem wir wirklich frei sind, dem Mann oder der Frau zuzuhören, die spricht. (…) In meinen Träumen werde ich zwischen den Geschlechtern hin- und hergerissen und frage mich, welches meins ist. (…) Wenn ich schreibe, wird eben diese Ambivalenz meine Befreiung.“

Beispielhaft durchinszeniert haben das, was die Philosophin Julia Kristeva als „manischen Eros“ beschreibt, Marina Abra­mo­vić und Ulay, derzeit zu sehen in der Ausstellung „The Cleaner“ im Louisiana Museum of Modern Art in Dänemark. Als Performance-Künstlerin bringt Abramović darstellende und visuelle Elemente zusammen, als rücksichtslos Liebende Macht und Hingabe – beides aber nie nur auf die eigene Weltsicht, sondern immer konfrontativ am Gegenüber ausgerichtet. „Der Feind der Liebe“, schreibt Alain Badiou, „ist der Egoismus, nicht der Rivale.“

Tempo und Intensität der Schläge steigern sich in „Light/Dark“ von 1977 – bis einer aussteigt

Der langsame Rhythmus, mit dem sich die Partner in der Videoinstallation „Light/Dark“ von 1977 ohrfeigen, gleicht anfangs noch dem eigenen Herzschlag. Das Knallen, wenn Hand auf Haut trifft, nimmt man gelassen; die zugekniffenen Augen der beiden Künstler beunruhigen mehr. Tempo und Intensität der Schläge steigern sich – bis einer aussteigt. Die echte Wut, vom Partner verletzt worden zu sein, entwickelt eine Dynamik, die die Szene antreibt und die Inszenierung eines Konflikts zu einer realen Situation werden lässt – so unmittelbar spiegelt sich der Schmerz, von einem geliebten Menschen getroffen worden zu sein, in den Gesichtern.

Noch radikaler inszenieren beide ihre Trennung, als sie sich vor 20 Jahren auf der Chinesischen Mauer auf halber Strecke treffen und bei Begegnung weinend verlassen. 2010 laufen im Museum of Modern Art in New York stumme Tränen über Abramovićs Gesicht, als sich Ulay während ihrer Performance „The Artist is present“ vor sie setzt. Bei der Eröffnung zu „The Cleaner“ stehen sie zusammen auf einer Bühne, teilen sich ein Mikrofon, gelassen, jetzt, mit 70. Es sind genug Tränen geflossen, ausreichend Blut.

Verzweiflung wird dagegen lebensbedrohlich beim Künstlerpaar Rodin/Claudel. Camille Claudel, ab 1883 eine gute Dekade lang die Partnerin ihres verheirateten Lehrers, war zunächst Model und Mätresse – und zerbricht an der gefühlten Unterlegenheit als Bildhauerin. Alkoholkrank wird sie in die Nervenheilanstalt gebracht. In Künstlerlieben können Feinfühligkeit und emotionale Durchlässigkeit als verbindendes Element ausgelebt und zelebriert werden – gefährlich, wo dies auf eine bipolare Persönlichkeitsstruktur trifft. Die Autorin Sylvia Plath fühlt sich allein von Dichter Ted Hughes verstanden. Sie nimmt sich das Leben.

Völlig selbstlose, von den Personen losgelöste Künstlerliebe kann entstehen, wo die Umstände eine Schicksalsgemeinschaft begründen, wo Krankheit ein gemeinsames Wirken unmöglich macht oder einer der Partner verstirbt. So führt Christo das gemeinsame Schaffen fort, realisiert in aller Welt die bereits geplanten Verhüllungsprojekte. So rettet Gab­rie­le Münter Werke ihres Lebensgefährten Wassily Kandinsky und ihres gemeinsamen Künstler-Freundeskreises vor dem Krieg: Im Keller ihres Murnauer Hauses versteckt sie Bilder des „Blauen Reiters“ und vermacht sie nach dem Zweiten Weltkrieg dem Münchner Museum Lenbachhaus.

Pierre Bergé begreift es als Lebensaufgabe, den instabilen Modedesigner Yves Saint Laurent zu stützen

So begreift Pierre Bergé es als seine Lebensaufgabe, den instabilen Modedesigner Yves Saint Laurent zu stützen. So verwaltet die Kunsthistorikerin, Bühnenbildnerin und Fotografin Aino Laberenz heute überwiegend das Erbe ihres an Krebs verstorbenen Mannes, des Thea­ter­genies Christoph Schlingensief, und führt sein Operndorf in Burkina Faso weiter.

Wann ist der Moment, an dem kreative Paare aufhören können, das gemeinsame Werk als Maßstab ihres Lebens zu betrachten? „Die Liebesbeziehung“, schreibt Kristeva, „fußt einerseits auf narzißtischer Befriedigung und andererseits auf Idealisierung.“ Dem folgend hieße das: Mit dem Tod eines Partners verschiebt sich das Gleichgewicht für den anderen zwingend und unwiederbringlich in Richtung der Idealisierung. Kann die Fortführung des gemeinsamen Werks oder die Verwaltung des Nachlasses dann schlicht trösten, eine ‚narzisstische‘ Befriedigung durch ein breiteres Publikum bieten, die den Verlust des Begleiters ertragbar macht? Oder ist es Selbstaufgabe, auch über das Ende des einen Lebens das gemeinsame Werk fortzuführen, den anderen also durch die eigene Biografie und Lebenskraft gleichsam am Leben zu erhalten?

Beides ist denkbar. Möglicherweise aber schärft die Endgültigkeit des Todes auch den Blick auf die stärkste lebenslange Gemeinsamkeit, die allen Paaren gemeinsam sein dürfte, die in künstlerischen Austausch treten: ihre Überzeugung, dass der Drang zur Kreativität das Individuum übersteigt – und die Liebe zur Kunst den Menschen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen