: PYRRHUS-SIEG DER LIEBE
■ "Celestina" nach Fernando de Rojas
PYRRHUS-SIEG DER LIEBE
„Celestina“ nach Fernando de Rojas
Einen in Vergessenheit geratenen spanischen Klassiker hat die Gruppe Janus im Theater in der Fabrik Osloer Straße ausgegraben. Die Tragikomödie „Celestina“, um 1500 entstanden und Fernando de Rojas zugeschrieben, zählt mit ihrem volkstümlichen Realismus zu den Vorläufern des spanischen Volkstheaters, das später bis ins 17. Jahrhundert hinein das europäische Theater beeinflussen sollte.
Ritter Calisto macht der schönen, reichen Aristokratentochter Melibea einen vergeblichen Liebesantrag. Verzweifelt wendet er sich an die alte verschlagene Kupplerin Celestina, die mit unwiderstehlicher Überredungskunst und geheimen Zaubereien Melibea umstimmt. Daß Calisto vor Sehnsucht rast, nutzt die habgierige Alte skrupellos zu ihrem materiellen Vorteil und verkuppelt nebenbei auch noch seinen Diener mit zwei in ihren Diensten stehenden Huren.
Nachdem sich sämtliche Paare vereinigt haben, nimmt alles ein böses Ende. Calisto stürzt bei der Flucht aus dem elterlichen Garten Melibeas von der Leiter und bricht sich den Hals. Die beiden Diener ermorden Celestina nach einem Streit um das dem Calisto abgeluchste Geld und werden dafür hingerichtet. Tief unglücklich über den Tod ihres Geliebten gesteht Melibea den Eltern ihren Fehltritt und scheidet freiwillig aus dem Leben.
Daß eine Frau aus dem Volk die Geschichte des aristokratischen Paares zu ihrem Vorteil lenkt, hat dem Stück die Charakterisierung als demokratische Abwandlung des Romeo-und-Julia-Stoffes eingebracht. Gerade dieser historische Aspekt ist vom Ensemble Janus zu Recht fallen gelassen worden. Thema ist vielmehr die Allgewalt der sinnlichen Liebe, die über die Vernunft siegt, woran de Rojas Figuren zugrunde gehen. Aber gerade dieses Umschwenken der Figuren, der Verlust der Ratio zugunsten der Unterwerfung unter die menschlichen Triebe, wird leider in dieser Aufführung nicht besonders deutlich. Speziell vor der Pause will ein munteres Spiel nicht so recht in Gang kommen. Hier wird zu undifferenziert gesprochen, vermißt man Bewegung und Temperament, um den Figuren ihre Sinnlichkeit und Sehnsüchte wirklich abzunehmen. Man merkt, daß de Rojas Stück ursprünglich als Lesedrama konzipiert war. Ungünstig für die Schauspieler, daß sie fast ohne Requisiten auskommen müssen. Wenn, dann setzt Regisseur Rainer M. Beck diese allerdings geschickt als Symbole ein. Calisto verbindet sich mit Melibeas Gürtel die Augen, wird dabei sprichwörtlich blind aus Liebe. Einleuchtend auch das rote Garn, mit dem Celestina ständig die Personen in wörtlichem Sinne einwickelt oder miteinander verbindet. Für die beschränkten bühnentechnischen Mittel des Off-Theaters ist auch die Ausstattung (Marion Strohschein) recht einfallsreich. Ein schwarz ausgekleideter Gerüstbau ermöglicht verschiedene Spielebenen; Gazeschleier, Masken, Beleuchtung und nicht zuletzt die Musik beschleunigen die zahlreichen Szenenwechsel und sorgen von Beginn an für Atmosphäre.
Daß es auf der Bühne nie langweilig wird, dafür sorgt vor allem die Verkörperung der Titelfigur durch Sigrid Landgrebe. Wie sie der alten Kupplerin Gestalt verleiht und damit ständig Leben in die Szene bringt, nötigt schon als körperliche Leistung Respekt ab.
Alles in allem ein begrüßenswerter Versuch, ein zu Unrecht vernachlässigtes Stück in Erinnerung zu bringen.Uwe Sauerwein
Bis zum 10.7. jeweils Do-So 20 Uhr im „Thi Fos“, Osloer Straße 12.
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