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Archiv-Artikel

PROGRAMMIEREN ZU LERNEN IST AUCH NUR DIY. WIR SIND EBEN DOCH KEINE ALGORITHMEN Rückzug ins Selbstgeklöppelte

NULLEN UND EINSEN

Neuerdings versuche ich, ein bisschen programmieren zu lernen. Seit Tagen erfreue ich mich daran, runde Buttons eckig zu befehlen, Listen zu sortieren und Computerspiele zu entwerfen, die ohne eine einzige Grafik auskommen.

Vor 20 Jahren wäre das noch für irgendetwas nützlich gewesen. Was ich da zusammenhacke, sieht heute eher aus wie die Früchte eines Grundkurses Informatik in den Neunzigern. Unklar, wofür ich das jemals brauchen können soll – wenn nicht plötzlich eine Retrowelle anrollt und es total cutting edge wird, dass Homepages wieder aussehen wie 1997.

In dieser Rumwurschtelei, die bei gleichbleibendem Lerntempo frühestens beim Erreichen meines Rentenalters eine funktionsfähige App hervorbringen wird, unterscheidet mich nur wenig von den Muttchen und Mädchen mit ihren Shops bei Dawanda und Etsy. Die Damen vom Planet Pünktchenoptik, die Pullöverchen, gehäkelte Teetassen und gefilzte Ansteckfliegenpilze feilbieten – und das DIY nennen, weil Handarbeit so herdprämienmäßig klingt. So schmerzhaft dieser Vergleich auch ist: Wie diese Frauen bin auch ich auf dem Rückzug. Auf dem Rückzug ins Selbstgeklöppelte.

In einer überkomplexen Welt voller Finanzkrisen und NSA-Schoten wächst die Sehnsucht, zu verstehen, wo das alles mal angefangen hat. Und der Wunsch, wieder etwas mit den eigenen Händen zu erschaffen – wo man schon sonst nichts mehr begreift.

Um sich überfordert zu fühlen, genügt heute ja schon, einfach mal die aktuellen Meldungen aus der Wissenschafts- und Techsparte zu überfliegen: Amazon will Pakete per Drohne ausliefern. Ein Algorithmus soll die Zukunft voraussagen, indem er auf Basis öffentlich einsehbarer Kommunikation im Netz das Verhalten von Millionen Individuen simuliert. Google kauft eine Firma, die für die US-Armee Kampfroboter entwickelt – und hat die selbstfahrenden Autos natürlich im Labor schon längst fertig. Können Sie noch ernsthaft nachvollziehen, wie das alles tatsächlich funktionieren soll? Je schneller umso mehr Daten digital abgefertigt und neu verschränkt werden können, desto unmöglicher wird es für den durchschnittlichen Menschenverstand, eine realistische Ankündigung von Humbug zu unterscheiden.

DIE FÜNFTAGEVORSCHAU | KOLUMNE@TAZ

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Wahrscheinlich ist das auch der Grund, warum wir trotz immer wüsterer NSA-Enthüllungen so ruhig bleiben. Blink, blink, Alarm, Grenzen der Vorstellungskraft gesprengt –Verdrängungsmechanismus aktiviert. Oder eben die Schockstarre.

Worin wir übrigens Algorithmen erstaunlich ähnlich sind. Zu Beginn der Lehmann-Krise wäre ihr Handelsalgorithmus schockgefroren, sagte mir eine Interviewpartnerin im Sommer. Weil er auf etwas Unbekanntes gestoßen war und er die neue Lage erst einmal analysieren wollte, bevor er wieder aktiv wurde. Hört sich nur allzu menschlich an. Mit einem zentralen Unterschied: Die meisten von uns stehen noch immer fassungslos da und kratzen sich ratlos am Kopf: Data overload – während sich die Algorithmen längst angepasst haben.