PRO: WARUM WIR DEN 3. OKTOBER ALS NATIONALFEIERTAG BRAUCHEN : Ein Symbol der Zivilgesellschaft
Nichts gegen Pragmatismus. Aber der Umgang der Bundesregierung mit dem 3. Oktober war grundfalsch. Hier schlagen die Erfahrungen einer Politikergeneration durch, die von den Übersteigerungen des deutschen Nationenbegriffs geprägt wurden. Sie haben die Folgerung gezogen, nationale Symbolik tief zu hängen – im Zweifel so tief es eben geht. Klar ist das immer noch besser als naive Rückbesinnungen auf die deutsche Nation oder was immer derzeit auf der Rechten im Angebot ist. Aber was wäre das Ergebnis? Dass – vom 1. Mai abgesehen – alle freien Feiertage christliche Feiertage wären. Feiern würde sich unsere Gesellschaft also nur als Traditions- und Schicksalsgemeinschaft (Abendland!). Das aber ist eine falsche Folgerung aus den falschen Nationenbegriffen der deutschen Geschichte.
Wirklich demokratisch ist doch vielmehr, das Zusammenleben in Deutschland als politisches Projekt zu begreifen: als Gesellschaft, nicht als Gemeinschaft. In einer modernen Gesellschaft ergibt sich aber kein Selbstverständnis mehr von allein – aus der Tradition etwa oder woher auch immer. Ihr Selbstverständnis muss die Gesellschaft aus sich selbst schöpfen. Also braucht eine moderne Gesellschaft Selbstverständigungsdebatten – und als Symbol sowie als wiederkehrender Anlass dieser Debatten muss ein Nationalfeiertag her. An ihm kann sich unsere Gesellschaft darüber verständigen, was bereits erreicht wurde und – da ja nichts perfekt ist – was noch erreicht werden muss. Das wäre ein Nationalfeiertag mit tiefer gelegtem Nationenbegriff. Was gäbe es dagegen einzuwenden?
Okay, der 3. Oktober hat diesen Anspruch noch nicht eingelöst. Diesen Termin belastet immer noch stark das Bild des singenden Helmut Kohl samt Glockengeläut. Aber was soll’s? Kein Nationalfeiertag dieser Welt ist vom Himmel gefallen, allen lagen politische Entscheidungen zugrunde. Bei allem, was gegen den 3. Oktober zu sagen ist: Er bietet die Chance, dass ihn eine selbstbewusste Bürgergesellschaft ergreift und mit Leben erfüllt. Als beliebige Sonntagsreden sind Selbstverständnisdebatten nicht zu haben. DIRK KNIPPHALS