PRESS-SCHLAG: Das Scheitern der textilen Revolution
■ Der Welt-Tennisverband der Frauen kämpfte in Hamburg erfolgreich gegen lange Hosen
Munter plauderte die amtierende Tenniskönigin in breitestem Amerikanisch über Gott, die Welt und Tennis. Monica Seles' Sprechweise wirkte auch nach ihrem 6:2, 6:4-Halbfinalsieg gegen Arantxa Sanchez-Vicario so, als reflektiere eine 40jährige Lady über die Niederungen der sie betreffenden Szene. Smart, absolut cool und nur einmal Gefühl zeigend: „It's so easy“, sagte sie, als bereits nach zwei Minuten das Frage-und-Antwort-Spiel durch die Presse einseitig abgebrochen wurde.
Nur einmal erregte das Geschnatter der Jugoslawin Interesse. Das war, als sie mitten im Redefluß sich plötzlich an den Oberschenkel faßte, als zwickte sie dort ein hartnäckiges Insekt. „Sehnenabriß?“ „Patellasehne?“ „Zerrung?“ „Adduktoren?“ raunte man sich expertenhaft zu. Doch Monica Seles, die sich jüngst von ihren langen Haaren zugunsten eines flotten Jungmädchenschnitts getrennt hat, erläuterte: „Oh no, but it's too cold to play.“
Ihre Muskeln seien ganz verhärtet, weil durch die frostigen Klimaverhältnisse auch der Court so hart geworden sei. Doch die kleine, textile Revolution in der Frauentennisszene, von Seles zu Beginn ihres Auftritts am Hamburger Rothenbaum angezettelt, scheiterte: Georgina Clark, Funktionärin der WITA, des Frauenwelttennisverbandes, lehnte es kategorisch ab, daß die Spielerinnen bei Außentemperaturen um die zehn Grad lange, durchaus den letzten modischen Standards entsprechende Trainingshosen überziehen. Kleiderordnung sei Kleiderordnung. Das also, was den racketschwingenden Männern zugebilligt wird, ist statutengemäß untersagt: Kurzer Rock soll sein, auf daß die Beinmuskulatur zum steifen Brett werde.
Prickelnd das Gerücht, daß die Seles die Clark angekreischt haben soll, daß die doch ihre Röcke tragen solle bis sie schwarz werde, sie aber, die Seles, werde im Namen der Statuten nicht irgendwelche Verletzungen riskieren. Und überhaupt: Clark — who? Stefanie Graf soll ihrer Konkurrentin sogar beigestanden und die WITA-Bürokratin darauf hingewiesen haben, daß es immer noch Spielerinnen wie sie seien, die den Turnierzirkus überhaupt am Leben erhielten. Doch die Clark blieb hart, schürzte ihre Lippen zu einem geraden Strich und sprach: „No!“
Also spielten sie weiter in ihren knappen rockähnlichen Unterleibbedeckungen. Beide dominierten in Hamburg — die Sabatini startete nicht — die Konkurrenz nach Belieben. Auch die Graf verprügelte die beim Männervolk am Rothenbaum ob ihres braven Blicks beliebte Österreicherin Judith Wiesner (Nr. 20 der Weltrangliste) im Halbfinale in 36 Minuten mit 6:0, 6:1.
Und doch: Hätte die Salzburgerin nicht so harmlos aufgespielt, hätte sie die Brühlerin mehr unter Druck gesetzt, wäre sichtbar geworden, weshalb auf Dauer die Seles die Königin, die Graf hingegen nur ihre in gebührendem Abstand wartende Konkurrentin ist. Unterschnittene Rückhand, präzise Vorhandbälle und gelegentliche Stops — das Repertoire der Deutschen reicht eben gegen eine sowohl mit der Vor- als auch mit der Rückhand beidhändig prügelnde und dabei rotierende Seles nicht aus.
Beide schätzen sich zwar, doch von einer Mesalliance — zum Finale gemeinsam in Hosen wie weiland Gottfried von Cramm zu erscheinen — konnte keine Rede sein. Erfolgreicher Protest braucht womöglich Geduld: Auch die Navratilova konnte sich erst nach Jahren der Teilhabe an der Weltspitze Eigenmächtigkeiten der gesetz- und statutenlosen Art erlauben. Wäre die inzwischen amerikanische Tschechoslowakin vor acht Jahren nicht einfach vom Platz ins Spielerinnenrefugium gestürmt, müßten Tennisspielerinnen heute immer noch die Person auf dem Schiedsrichterstuhl um Verzeihung und Vergebung bitten, doch mal, — ja bitte, bitte, ich hab's vor dem Spiel vergessen — aufs stille Örtchen gehen zu dürfen. Jan Feddersen
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