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PRESS-SCHLAGOhne Hemd guten Muts

■ Die Organisatoren des traditionellen Thüringer Gutsmuths-Rennsteiglaufs setzten auf Blut und Busen

Lieber Herr Rennsteiglauf-Präsident Dr. Hans-Georg Kremer,

Vielen herzlichen Dank für die liebevolle Pressebetreuung, die Sie mir seit gut einem Jahr ausführlichst haben angedeihen lassen. So hatte ich genügend Muße, mich für diesen Saisonhöhepunkt des Breitensports entsprechend einzustimmen.

Selbstredend habe ich mittlerweile mehrere „Rennsteiglauf- Ordner“ angelegt. Besonders interessant empfand ich die Geschichte dieses größten Crosslaufs Europas. Dabei hat es mir die Schilderung des sympathischen Turnlehrers J.C.F. Gutsmuths angetan, der der Begründer des weltweit ausstrahlenden Schnepfenthaler Gymnastiksystems ist.

Aufgrund Ihrer eindringlichen Schilderung sah ich die Idylle, die zur Wiege des Rennsteiglaufs wurde, bildlich vor mir: GutsMuths, wie er mit seinen Zöglingen von der Salzmannschen Erziehungsanstalt Schnepfenthal auf dem Inselberg die Natur erkundete. Um sodann die Buben von diesem höchsten Punkt Thüringens in einer Art Leistungsprüfung schnellstmöglich die zehn Kilometer zum Anstaltsbau heimeilen zu lassen. Und das alles auf dem traditionellen Kammweg des Thüringer Waldes, dem „Rennsteig“, der einst als Boten- und Kurierweg, Forstgrenze und Handelsweg und zuletzt auch als Staatsgrenze gedient hat.

Aber letzteres wollen wir ganz schnell vergessen. Dennoch hat mich erfreut, daß nunmehr auch Wessis rennsteiglaufen. Immerhin sind ein Drittel der 6.813 Läufer aus der Ex-BRD! Ein wunderbarer Achtungserfolg, der sicher auch ihr PR-Verdienst ist.

Überhaupt haben Sie an alles gedacht: Vom Rabatt für Kurzarbeiter bis zum Busservice, von Sponsoren bis zur Fernsehübertragung. So läßt auch Ihre Idee, wunde Füße gleich mit einer wohltätigen Blutspendeaktion zu verbinden, Genialität erkennen. Ein sicheres Zeichen für Professionalität und exzellenten Geschmack ist auch die Wahl der „Miß Rennsteiglauf“.

Nur eins, Herr Kremer, macht mir wirklich Kummer. Allzu gern hätte ich berichtet von dieser hochkarätigen Veranstaltung! Aber die von Ihnen geforderte Kleiderordnung macht mir dieses unmöglich. Denn der kleine Kalender, den Sie mir freundlicherweise zukommen ließen, zeigt unmißverständlich, in welcher Aufmachung Journalistinnen zu erscheinen haben: Barbusig, nur mit dem knappen Presseleibchen bekleidet.

Herr Dr. Kremer, nach langem Grübeln und Rücksprache mit meinem Hausarzt muß ich Ihnen nun absagen. Letzte Woche noch wär's vielleicht was geworden mit Ihnen und mir und dem Rennsteiglauf. Doch dieses Wochenende, Herr Kremer, ist es einfach zu kalt für diesen Aufzug.

Bleiben Sie trotzdem so humorvoll, geschmacksicher und guten Muts wie bisher,

Ihre Miß Michaela Schießl

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