PRESS-SCHLAG: Esoterischer Imperialismus
■ Der DSB startet neue Kampagne zum Breitensport
Eine ganze Nation hat er auf Trab gebracht: Breitensportmanager Jürgen Palm, Erfinder des Trimm- Trabs, Erzeuger der Symbolfigur Sport-Billy und seither Hauptverantwortlicher für bewegungsintensive Wochenenden. Doch statt sich nach 20 Jahren Trimm-Aktion wohlig zurückzulehnen und gefällig die vorbeijoggenden Massen zu betrachten, rufen neue gesellschaftliche Entwicklungen den „Trimmvater der Nation“ erneut auf den Plan. Denn die Wiedervereinigung hat verheerende Folgen auf die internationale Spitzenstellung von Fitneß-Deutschland.
So legte Palm bei einer DSB- Pressekonferenz in Wernigerode erschütterndes Zahlenmaterial vor. Während in den alten Bundesländern 66 Prozent der Bürger Sport treiben, sind es in den jungen Bundesländern nur 44 Prozent. Was wiederum den Durchschnitt derart senkt, daß die BRD den Platz eins in der weltweiten Fitneßtabelle einbüßt! Dies jedoch kann keinesfalls hingenommen werden, befand der Deutsche Sport-Bund. Und startete eine neue Vierjahreskampagne: „Leben mit Sport — im Verein am schönsten“. Ein Slogan, der begeistert, erlaubt er doch viele Sinngebungen: Leben durch Sport, für Sport, als, über, vom, im, am, um, Sport und um den Sport herum.
Doch noch entziehen sich die jungen Bürger dieser Parole. Einmal, weil sich deren Sorgen und Gedanken um existenziellere Dinge als um den Waldlauf drehen. Zum anderen, weil der Sport in der Ex-DDR wegen seiner Überpolitisierung ein schlechtes Image besitzt. Und natürlich fehlt Geld, Strukturen und Sportstätten. Ganz abgesehen von konkreten Vorstellungen, wie ein Verein auszusehen hat. Doch Palm setzte auf die „großen Selbsthilfekräfte in den jungen Ländern“ und die „Vermittlung von Lebensfreude durch Sport, die das schlechte Leben lindern. Womit wir bei der inhaltlichen Neuorientierung gelandet sind. Der DSB hat die Vorstellungen von derber Sportskameradschaft, verräucherten Skatabenden und dunklen Turnhallen eingemottet. Statt des Turnvater-Jahn-Muffs wirkt der Zeitgeist. Die kommerziellen Fitneßanbieter haben mit ihrem individuell variablen Angebot die Konkurrenz auf Trab gebracht — der Vereinssport sprang auf den Esoterikzug. So schwärmte Prof. Peter Kapustin vom Bundesausschuß Breitensport vom Sport als „intensiv erlebtes Leben, sich in Emotionen erfahren, Alltag vergessen, Rollen spielen, Leben ausschöpfen“. Besonders wichtig sei Umweltschutz und die Volksgesundheit. Eine Entwicklung, die begrüßenswert scheint. Der Verein als modernes, anpassungsfähiges Gebilde, daß mehr durch flexible Strukturen als durch Meierei glänzt.
Doch dann bestieg der Darmstädter Sportprofessor und DSB- Querdenker Helmut Digel das Podium: „Das Handlungsmuster Sport weist imperialistische Züge auf“, tönt es von der Kanzel. Damit verletzte er nicht nur die Gefühle der sportverrückten Funktionäre, sondern vor allem das Grundaxiom des DSB, nämlich daß Sport allüberall und für jeden erstrebenswert sei. Doch mehr noch: Digel geißelt die „schleichende Anpassung“ der Vereine an den Zeitgeist. Die „Individualisierung der Individuen sei nämlich Resultat der Industriegesellschaft“ und nicht etwa freiwillig und führe im Endeffekt zu „Frösten der Einsamkeit“. Zudem sei das Sport-Spaß-Motiv ein zwiespältiges, da es der Sportartikelindustrie in die Tasche wirtschafte. Selbst das Gesundheitsmotiv sei angreifbar. Denn die Gesundheitsdiskussion gehe einher mit einer „egozentrischen Ellbogenmentalität“. Die Gelegenheit, sich durch Krankheit selbst zu finden, sei als Gesunder verspielt. Schließlich die Digelsche Schlußforderung: „Der Verein muß ein Protest gegen eine uniformierte Welt sein, der Ort nicht entfremdeter Sozialbeziehung.“
Ohne Nachfragen verließ Digel die Kanzel. Den Funktionären und Journalisten hatte es die Sprache verschlagen, stand man doch wieder einmal da wie der Sportidiot: hinterwäldlerisch, schmalspurdenkend, optimistisch. Keinen Blick für globale Zusammenhänge. Und so schlich man seufzend zum Buffet: So schön hätte's sein können, im neuen Verein. miß
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