PRESS-SCHLAG: Toni & Frau Weiersmeier
■ Schweizer Skilehrer sind beneidenswerte Menschen
Die Schweiz besitzt zwar 44 Viertausender (das sind 44 mehr als Österreich), ist stolz auf 22 Nobelpreisträger, hat die größeren Gletscher und die längeren Alphörner als unser östlicher Nachbar, doch im Skirennsport sind uns die Österreicher meistens eine Skispitze voraus. Trotzdem sind sie liebenswerte Menschen. Die österreichischen Skifans spenden sogar Beifall, wenn ein Schweizer Favorit stürzt.
Neben unseren internationalen Skiassen spielen die 6.000 Skilehrer die Hauptrollen im weißen Milliarden-Geschäft mit den zwei Millionen Schweizer Skistatisten. Die Skilehrer gehören zu den wenigen Pädagogen, die ihren Schutzbefohlenen zeigen, wie man möglichst schnell hinunterkommt. Pro Winter erteilen die 200 Schweizer Skischulen zwischen drei und vier Millionen Alpin- und Langlauflektionen, was erzieherische Talente voraussetzt.
Ehe ein sehr guter Skifahrer als Skileher pro Tag 150 bis 200 Franken verdienen kann, muß er mehrere Kurse besuchen. Tiroler Skilehrer werden sogar an der Universität Innsbruck ausgebildet und erklären die lockere Kniehaltung in mindestens drei Sprachen akademisch: „Bend your Knees, Stoßdämpfer benützen, pliez vos genoux et ne tombez pas sur le po. Der Po ist in Italien.“ Humor bereichert das Leben und entspannt die Glieder. Viele Skischülerinnen bekommen beim Anblick ihres Skilehrers ohnehin weiche Knie.
Die Arbeitszeit der Skilehrer beträgt in der Schweiz, in Bayern, im Schwarzwald, in Hinterzarten, im Vorarlberg, in Kärnten und in Tirol (Schnee vorausgesetzt) vier bis fünf Stunden pro Tag, sofern die manchmal ziehmlich aufwendigen Après-Ski-Nachhilfestunden ausgeklammert werden. In der Regel sind Schweizer Skilehrer leicht von den restlichen 35 Millionen Schweizer-Winterlogiernacht-Absolventen zu unterscheiden.
Derweil der gewöhnliche Skifahrer in der Schlange ganz hinten ansteht, benützt der Skilehrer den Skilifteingang mit der Aufschrift „Eintritt verboten!“ und ist mit schmucken Abzeichen auf Ärmel und Brust versehen. Zur Dämmerstunde, wenn die Skipisten verwaist und lediglich die Rettungsmannschaften mit den letzten Beinbrüchen unterwegs sind, müssen sich viele Skilehrer auf Geheiß ihrer Vorgesetzten demaskieren und sich ohne Skilehreruniform-Bonus in die „Chesa“ oder „Älplibar“ oder „Almhütte“ begeben. Jetzt verrät nur noch der braune Teint die Vormachtstellung in der Skihierarchie.
Selbst kleinere Wintersportorte wie Oberknüllen am Schattenberg und Hinterwies am Vorderkulm legen Wert auf flottes Äußeres ihrer Skilehrer und kleiden sie einheitlich. Das wird finanziell dadurch erleichtert, daß der einzige Skilehrer zugleich Skischulleiter ist und der Skischulleiter mitunter zugleich der einzige Skilehrer ist. Die beiden üben ihren pädagogischen Lehrauftrag in Oberknüllen oder Hinterwies zumeist in Personalunion zwischen Melken und Füttern und Melken ihrer zwei Kühe aus.
Jeder Skischulleiter hat ein Pflichtenheft. Er sorgt unter anderem dafür, daß laut Schweizer Lehrbuch unterrichtet wird und versucht zu verhindern, daß Frau Dr. Weiersmeier, deren Gatte geschäftlich längere Zeit in den Vereinigten Staaten weilt, trotz des Skischulsechsklassensystems schon die vierte Woche in Tonis zweiter Klasse das Abrutschen repetiert. Frau Dr. Weiersmeier bezeichnet diesen Eingriff in die skifahrerische Intimsphäre als Verstoß gegen die Menschenrechte.
Statt sich in Straßbourg oder beim Internationalen Gerichtshof in Den Haag zu beschweren, engagiert sie Toni künftig gegen entsprechendes Aufgeld als Privatskilehrer und macht keine Vorbehalte, wenn er nach Feierabend in ihrem Appartement die rote Jacke und den roten Pullover mit dem Schweizer Kreuz auszieht. Skilehrer sind beneidenswerte Geschöpfe.
Als Trost für uns Normalskifahrer, die wir nicht die Gnade, das Glück und das Talent hatten, Skilehrer (französisch: „Professeur de ski“, was noch besser tönt) zu werden, bleibt uns der Sommer. In dieser auf unserer Hemisphäre vorwiegend schneelosen Jahreszeit sind wir den Skilehrern, selbst bei Frau Dr. Weiersmeier, fast ebenbürtig. Sepp Renggli
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